Ein Weggefährte erinnert an Frère Roger

Er wollte nicht nur ein Jünger sein

Der Kirchenraum der Reformierten Gemeinde in Versoix am Ufer des Genfer Sees ist proppenvoll. Rund 300 Jugendliche aus Polen, Serbien, Kroatien, Ungarn und Deutschland sitzen auf dem Boden und singen Taize-Gesänge zum morgendlichen Frühgebet. Die Kirchenbänke wurden eigens an den Rand geräumt. Gegen Ende des Gebets geht ein Mann mit gekrümmten Rücken nach vorn. Der 90-jährige Etienne Burnand ist an diesem Samstagmorgen extra gekommen, um etwas von seinem Jugendfreund zu erzählen: Dem Gründer der Taize-Bewegung Frère Roger.

 (DR)

Die beiden Männer lernten sich beim Theologiestudium in Lausanne kennen, wo Burnand einen Kreis von Studierenden leitete. Eines Tages sei der 22-jährige Roger Schutz auf ihn zugekommen und habe um ein Gespräch gebeten. Der junge Student, von dem Burnand sich erinnert, dass er lange gezweifelt habe, ob das Theologiestudium das Richtige für ihn sei, fragte ihn direkt nach seiner privaten Spiritualität. Roger Schutz habe ihn herausgefordert, meint Burnand: "Er wollte ein geistlicher Begleiter sein. Er hatte dieses gewisse Leitungs-Charisma. Er wollte nicht nur ein Jünger sein".

1938 machten sich die Studienfreunde auf zu Exerzitien beim Schweigeorden der Karthäuser. "Die Erfahrung in der Karthause war für Frère Roger elementar", so Burnand. Hier habe er die Vision einer offenen Mönchsgemeinschaft entworfen. "Er wollte im Kloster leben, aber ohne dieses Gefängnis, wie wir es bei den Karthäusern erlebten".

Der alte Pastor blättert in alten Unterlagen und zieht ein kleines orange-farbenes Papier hervor. "Notes Explicatives" steht auf dem ersten Rundbrief von 1941 - verfasst von Frere Roger, wie er sich damals bereits nannte, herausgegeben von der "Communite de Cluny". 1940 hatte Frere Roger sich im französischen Burgund niedergelassen, um seine Klostervision zu verwirklichen. 1942 wurde er von den deutschen Besatzern vertrieben.

Frère Roger traf er das letzte Mal vor 20 Jahren
"Er wollte eigentlich, dass seine Gemeinschaft nach Cluny benannt wird", erinnert sich Burnand. Aber die Katholiken vor Ort hätten Einspruch erhoben - wegen der katholischen Tradition der mittelalterlichen Mönchsbewegung von Cluny. So kam es zur Benennung nach Taize, dem Ort nahe Cluny. 1942 bis 1944 ging Frère Roger zurück nach Genf und sammelte die ersten Brüder um sich. Nach der Befreiung Frankreichs von den Deutschen kehrten sie nach Taize zurück.

Burnand aber trat der Gemeinschaft nicht bei - der Liebe wegen blieb er in der Schweiz. Frère Roger traf er das letzte Mal vor 20 Jahren, als er mit seiner Frau gemeinsam nach Taize fuhr. Die Gemeinschaft dort, die Verwirklichung der Vision seines Studienkameraden - das hat Burnand beeindruckt, auch wenn der reformierte Pastor es etwas schade findet, "dass es heute ein bisschen sehr römisch ist". Dennoch sagt er anerkennend: "Die Ökumene war die große Idee von Frère Roger. Er wollte die Versöhnung unter den Christen".

Zum diesjährigen Taize-Jugendtreffen haben Burnand und seine Frau drei junge Serben aufgenommen. Sie sind stolz, dass in ihrer Gemeinde Jugendliche aus so vielen Ländern gemeinsam beten, auch Serben und Kroaten. Aus Polen ist die Katholikin Magda dabei - eine der Taize-Begeisterten, die die Gemeinschaft erst nach dem Tod des Gründers kennenlernten. In Genf betet sie zum ersten Mal in einer evangelischen Kirche - ganz im Sinne von Frère Rogers Vision der Ökumene.

Von KNA-Mitarbeiter Klaus Nelißen