Eindrücke des domradio.de-Chefredakteurs

Post aus Fulda

Für domradio.de bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischöfe ist auch Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen. In seiner "Post aus Fulda" schildert er regelmäßig seine Eindrücke des Treffens. Zum Auftakt die eines Bischofskonferenz-Vorsitzenden, der mutig den Kurs für die kommenden Tage vorgibt.

Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen (DR)
Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / ( DR )

"Das ist doch eigentlich ganz schön traurig, dass wir vorher die ganze Kirche auf den Kopf stellen müssen!", empört sich der sympathische Freund und Helfer im graublauen Einsatzoverall. Polizeihundeführer Hummel schüttelt ungläubig mit dem Kopf. Um 6:30 Uhr hat er mit seinem Spürhund den kompletten Fuldaer Dom von oben bis unten nach Sprengstoff durchsucht. Wenn man sich draußen in der "verrückten Welt" umschaue und sehe, was da so alles los sei, müsse man auch im wunderschönen barocken Kirchendom in Fulda auf Nummer sicher gehen.



Das Gotteshaus ist am frühen Dienstagmorgen schon gut gefüllt, um sieben Uhr ist hier die Welt noch in Ordnung. In wenigen Minuten ziehen die 67 katholischen Bischöfe zum Eröffnungsgottesdienst  ihrer traditionellen Herbstvollversammlung feierlich ein. Am Grab des Heiligen Bonifatius treffen sich die Kirchenoberen nun schon seit 150 Jahren, hier in dem Sankt Salvator Dom zu Fulda, der erst vor wenigen Wochen seinen 300. Geburtstag feierte.



Alte Geschichte und viele alt vertraute Gesichter  treffen am frühen Morgen aufeinander. Aber auch einige Neulinge, die zwar in der alten Tradition zuhause, denen die genauen Laufwege aber doch noch ein wenig fremd sind. Der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp ist, was die Amtszeit anbetrifft, der Zweitjüngste in Fulda. Im großen Konferenzsaal, wo die Bischöfe am Montag erstmalig zusammengekommen sind, sitzt er weit hinten rechts im großen Rund. Als er sich beim Einzug zur Frühmesse auch in die letzte Bank begeben will, nehmen ihn einige ältere Mitbrüder nach vorne. In der Kirche ist die hierarchische Sitzordnung außer Kraft gesetzt, hier sitzt der alt gediente Erzbischof neben dem jungen neuen Weihbischof - und gleich dahinter haben junge Schülerinnen und Schüler die freien Bänke erobert. Der Schulunterricht beginnt heute - Gott sein Dank -ein wenig später an. Das macht Laune.



Für gute Laune sorgen auch die jungen Stimmen vom Jugendkathedralamt. Noch bevor der Diakon das Evangelium, die Frohe Botschaft des Johannes, der feiernden Gemeinde verkündet, haben die vielen Jugendlichen mit ihrem rhythmischen Gesang, ihren Bongotrommeln und dem "Afrikanischen Halleluja" die Herzen der Gläubigen erobert. Den meisten Bischöfen scheinen diese Klänge ein wenig ungewohnt  - aber Michael Maas, der junge bischöfliche Privatsekretär von Erzbischof Zollitsch, stimmt freudig strahlend mit ein in den jugendlichen Lobgesang.



Nach den Worten der Heiligen Schrift kommt Robert Zollitsch an den Ambo. Die Auftaktpredigt hält naturgemäß immer der Vorsitzende der Konferenz. Er erinnert an das neue gute Gesprächsklima von Mannheim, beim großen Dialogprozess, den er bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Paderborn selber mit auf den Weg gebracht hat, um nach dem Vertrauensverlust durch den Missbrauchsskandal die Kirche wieder aufzurichten. Er erinnert auch an das "große Fest des Glaubens" - den Katholikentag mit mehr als 80.000 Gläubigen in seinem Bistum. Und auch an den gerade erst absolvierten zweiten Teil des Dialogprozesse in Hannover, bei dem Laien und 33 Bischöfe gemeinsam nach Lösungen gesucht haben. Lösungen für die vielen drängenden Fragen, die die Gläubigen seit Jahren bewegen. Alles bekannte Worte, die man von Zollitsch oft so oder in ähnlicher Form gehört hat.



Heute aber bindet er sie in ein großes Ganzes ein. Er zieht eine Linie vom  Zweiten Vatikanischen Konzil bis heute. Damals habe sich die Kirche besonnen und sei erneut aufgebrochen auf ihrem Pilgerweg durch die Zeit, sagt Zollitsch, der sich gerne als "Kind des Konzils" bezeichnet. Christen hätten ihr Ziel im Himmel - aber hier auf Erden dürften sie sich nicht aus dieser Welt zurückziehen. Als er dann noch sagt, man dürfe sich nicht mit der "kleinen Herde" zufrieden geben, wird es noch stiller im großen Kirchenrund. Was dann folgt sind Worte für das feine journalistische Seziermesser: "Einigen (man hört, ohne dass er das laut sagt "einigen Wenigen") geht die vorgeschlagene Erneuerung viel zu schnell und zu weit, und sie fürchten um die Identität des Katholischen. Viele (das sagt er laut!) erwarten aber auch Bewegung in der Kirche und sie leiden daran, dass manche Fragen sich schon so lange auf der kirchlichen Agenda befinden. Mir selbst geht es auch manchmal so, dass ich ungeduldig werde."  Die Mitbrüder im bischöflichen Amt, die ihrem alten Vorsitzenden da nicht so schnell folgen können, verziehen keine Mine oder scheinen im stillen Gebet versunken. "Tut nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei! Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst! Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen!" Auch an diese Worte aus der Lesung (Phil 2,3-4) erinnert Zollitsch eindrücklich in seiner Predigt.



Der Auftakt für die kommenden Konferenztage ist damit sehr deutlich gesetzt. Der Vorsitzende hat die Richtung klar vorgegeben - und geht mutig voran.  Man darf sich auf spannende Tage der Diskussion und Beratung freuen. "Das Evangelium liegt nicht hinter - sondern noch vor uns!", versucht der ergraute Erzbischof seine Zuhörer mit auf seinen Weg zu nehmen.



Nach dem Gottesdienst trennen sich aber erst einmal die Wege. Die Bischöfe verschwinden in ihrer Klausur. Die Pressekollegen ziehen sich in den benachbarten Saal und in ihre Übertragungswagen zurück. Für die Schüler beginnen jetzt doch die Freuden der schulischen Pflicht. Das gläubige Fußvolk macht sich schnell auf den Weg, gilt es doch, die fast 90 Minuten des Gottesdienstes wieder aufzuholen. Auch Hund und Herrchen der Polizei trollen sich. Vermutlich erst am Donnerstagnachmittag zum großen Abschluss Gottesdienst muss die ganze "Kirche wieder auf den Kopf gestellt" werden -  sicherheitstechnisch versteht sich. Bei der verrückten Welt da draußen weiß man ja nie…