Großer Tag im Athener Präsidentenpalast. Die Leibgardisten in ihren malerischen Fustanella-Röcken präsentieren Gewehr: für eine unscheinbare, schwarz verhüllte Nonne, Äbtissin Diodora. Doch das markante Gesicht mit strahlenden Augen verschafft ihr Respekt. Fast ehrfürchtig wird sie von Staatsoberhaupt Prokopis Pavlopoulos empfangen. Er verleiht der 52-Jährigen persönlich die griechische Staatsbürgerschaft. Für die im Saarland aufgewachsene Hannoveranerin Charlotte Stapenhorst war die Verleihung diesen Februar eine Krönung ihres 30-jährigen Wirkens in Griechenland: «Ich bin so dankbar!», sagt sie zu Papadopoulos. Längst wird sie auch über ihre neue Heimat hinaus in orthodoxer Welt und Diaspora als Erneuerin des weiblichen Ordenslebens verehrt.
Doch gibt es auch Fanatiker, die sie anfeinden, seit sie, orthodox geworden, unter dem Klosternamen Diodora den Schleier genommen hat und inzwischen drei Klöster leitet, eines davon in Jerusalem. Sie verweltliche das monastische Leben, sei insgeheim Katholikin geblieben und habe als "deutsche Ausländerin" nichts unter Griechinnen und Griechen zu suchen. Dem trat jetzt der Präsident durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft entschlossen entgegen.
Das Paradies im Herzen
Zuhause ist Schwester Diodora - ursprünglich bedeutet der Name "Geschenk des Zeus" christlich gedeutet steht er für die weibliche Form des heiligen Märtyrers Diodoros - seit zehn Jahren im mittelgriechischen Georgs-Kloster. Dem Kloster in den Bergen Thessaliens steht sie als Äbtissin vor. Dessen deutscher Förderverein nennt sich «Paradiesgarten e.V.». So romantisch, wie der Name des Vereins vermuten lässt, ist es im Kloster mitnichten. Die alte, in einem Bergtal gelegene Abtei wurde 1970 zum Priesterseminar umgebaut, doch bald wieder verlassen. Hinter zerbröckelnden Fassaden hausen nun mit den Nonnen auch Feuchtigkeit, Schimmel und Mauerfraß. Das Paradies wohnt eher in den Herzen der Schwestern.
Mit ihrem Übertritt zur orthodoxen Kirche vor 32 Jahren wollte sie keinen Konfessionswechsel empfehlen, erklärt Äbtissin Diodora. Sie sei von der ostkirchlichen Spiritualität "überwältigt, regelrecht mitgerissen" worden. Ihr Lehrmeister war ein anderer westlicher Orthodoxer, der Franzose Olivier Clement: "Wenn einige Menschen zu Gebet werden, zu reinem Gebet, verwandeln sie die Welt, allein durch die Tatsache, dass sie da sind, dass es sie gibt", erinnert sich Diodora an dessen an sie gerichteten Worte.
Als Stapenhorst nach Griechenland kam, befand sich das dortige Ordensleben in einer Krise. Die Männerklöster waren am Aussterben, sogar auf dem Heiligen Berg Athos. Fast nur Frauen hielten Ideale und Praxis eines voll gottgeweihten Lebens aufrecht. Dann setzte bei den Mönchen bis heute eine Welle vordergründigen Aufschwungs ein. Allerdings um den Preis der Betonung von Selbstgerechtigkeit, Kleben an Äußerlichkeiten und Gehässigkeit gegen nicht-orthodoxe Christen. So schätzt das jedenfalls der Spiritual im Georgskloster ein, Pater Dionysios Kalabokas.
Stapenhorst hatte zunächst an der Berliner Universität der Künste, später in Athen Theologie und mit einem Stipendium des Athener Erzbischofs in Straßburg Kirchenrecht und Jura studiert. Auch bioethische Themen beschäftigten sie. Dennoch entschied sie sich 2007 für die Aufgabe, das orthodoxen Nonnenleben neu zu beleben - nicht als Lückenbüßerin für fehlende Mönche, sondern als innerliche, ökumenische Alternative zum geist- und auch frauenfeindlichen Trend in den sich wieder füllenden Männerklöstern.
Internationale Gemeinschaft
Kraftquelle und Zentrum dieses Wirkens ist das ärmliche, fast schäbige Kloster Hagios Georgios. Dort betet Diodora mit 29 weiteren Nonnen für die ganze Schöpfung. Die Ordensfrauen kommen inzwischen aus aller Welt: den USA, Russland, Israel, Norwegen, aus Großbritannien und Frankreich, aus Bangladesh und der Ukraine, aus Griechenland und natürlich Deutschland.
Ein Ort, um zur Ruhe zu kommen. Zu Gott zu kommen. Mit ihm im Gebet zu leben. Sich von ihm erfüllen zu lassen. In Schwester Diodoras Kloster wird das spürbar, greifbar, erlebbar. Hier wird eine besondere Art von Liturgie gepflegt, die nicht verstummt, sondern sich weiter durch den Tag zieht: Während der Arbeit, etwa mit den Schafen und Ziegen, oder bei der Pflege kranker und hilfsbedürftiger Schwestern und Frauen, die sie aufgenommen haben, beim Herstellen von Salben, dem Schneidern von Gewändern. Schließlich das Gebet allein und für sich, in der Zelle, wenn sich nächtliche Stille über das Kloster gesenkt hat. Die Nonnen leben mit geöffnetem Herzen, um es immer mehr zu einer Kirche Christi werden zu lassen.
Diodoras deutsche Jugendfreundin Ilka Pipgras hat diesem Geheimnis nachgespürt. In ihrem 2011 veröffentlichten Buch «Meine Freundin die Nonne» schreibt sie vor dem gemeinsamen Wiedersehen im Kloster: "Ich will sehen, was einen Menschen so stark macht, dass er ohne Not komplett mit seinem alten Leben bricht. Will spüren, was meiner Freundin diese Gewissheit gibt, die sie über uns andere erhebt."