"Ihren Papst" wollen sich die Passauer nicht nehmen lassen. Im Erzbistum München und Freising mag Joseph Ratzinger die Priesterweihe empfangen und Erzbischof gewesen sein. Doch seine Heimatdiözese, wo der emeritierte Papst Benedikt XVI. vor gut 90 Jahren in Marktl am Inn zur Welt kam, ist nun einmal Passau. Einen der "bedeutendsten Söhne" nennt ihn Bischof Stefan Oster; auch wenn man jetzt noch nicht wissen könne, welche Bedeutung er für die Heilsgeschichte einst haben werde. Er sei aber zuversichtlich, dass der Herr bei Benedikt sehe, "wie er ihn sucht, liebt und verkündet".
Domvikar Bernhard Kirchgessner ist da mutiger. Er verlieh dem Geburtstagskind schon jetzt den Titel "bayerischer Kirchenvater". Der Leiter von "Spectrum Kirche", dem Exerzitien- und Bildungshaus des Bistums Passau in der Dreiflüsse-Stadt, lud Ende Mai zur Festakademie. Referenten, die Ratzinger aus theologischer und persönlicher Nähe gut kennen, kamen zu Wort.
Festakt mit anspruchsvoller philosophischer Kost
Ein solches Programm interessierte nicht nur Einheimische. Auch Gäste aus Berlin und Sachsen waren unter den gut 100 Teilnehmern. Zum Auftakt gab es anspruchsvolle philosophische Kost. Die emeritierte Professorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, zuletzt Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie an der TU Dresden, bot einen Überblick über zehn ausgewählte Theologen und Philosophen, die das Denken von Ratzinger bis heute prägen.
Am Anfang standen Augustinus und Bonaventura. Über den einen schrieb er seine Doktorarbeit, über den anderen seine Habilitation. Letztere wäre beinahe gescheitert, weil der junge Theologe wagte, Bonaventura zu kritisieren, was ihm den Vorwurf eines "gefährlichen Modernismus" einbrachte. Damals habe sich bereits sein großes Thema "Vernunft und Glaube" abgezeichnet, so Gerl-Falkovitz.
"Mitarbeiter der Wahrheit"
Bei John Henry Newman begeisterte ihn der «"ewissensbegriff", so die Philosophin. Den englischen Kardinal sprach Benedikt XVI. 2010 sogar selig. Auch mit Romano Guardini, Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar habe er sich auseinandergesetzt, ebenso mit evangelischen Theologen wie Erik Peterson. Unvergessen das Gespräch 2004 in München, als der damalige Präfekt der Glaubenskongregation mit der Philosophen-Legende Jürgen Habermas sprach. Im "Vorhof der Heiden", wo alle Fragen gestellt werden durften, habe Habermas die Religion, Ratzinger die Vernunft verteidigt; beide bräuchten einander zur gegenseitigen Reinigung.
Der Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, hob hervor, Benedikt habe Theologie nie als akademisches Glasperlenspiel verstanden. Die theologische Rede von Gott sei für ihn Dienst am Nächsten. Getreu seinem Bischofsspruch sehe er sich als "Mitarbeiter der Wahrheit". Der Papst sei kein absoluter Herrscher, sondern auch für ihn gelte der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes. Zeitlebens sei es Benedikt darum gegangen, den Menschen den Glauben zu erschließen. Dabei sei Jesus, dem er in seinem Pontifikat drei Bücher gewidmet habe, das Gesicht Gottes "für uns".
Glaube ist Nonkonformität
Manuel Schlögl, dem neueren Ratzinger-Schülerkreis angehörend, zeigte anhand der wissenschaftlichen Biografie auf, dass sich dieser Papst zeitlebens treugeblieben sei. Aussagen über die Liebe wie in seiner Enzyklika "Deus caritas est" würden sich auch in früheren Werken von ihm finden. Dabei gelte sein Grundsatz: "Glaube ist immer ein Stück weit Nonkonformität."
Einer, für den dieser Kirchenmann zu einem "Lebensthema" wurde, wie er sagt, ist der Journalist Peter Seewald. Vier Interviewbücher hat er mit ihm gemacht und sein Gegenüber als äußerst strukturiert erlebt. Bei den Gesprächen sei es stets karg zugegangen. Espresso? Fehlanzeige. Vielleicht mal ein Glas Wasser oder einen Ratzinger-Tee "mit viel Zitrone und noch viel mehr Zucker".
Vorurteile zurechtrücken
Heute sieht es Seewald als seine Aufgabe, manche Vorurteile über diesen Mann zurechtzurücken. Dabei gab er zu, dass es nicht immer leicht sei, "mit Ratzinger einzuschlafen und wieder aufzuwachen". Dennoch gehen ihm die Superlative für diesen "Mann der leisen Töne" nicht aus: Ein "verantwortungsbewusster und solider Leader, der auf Vernunft setze, ohne kalter Pragmatiker zu werden". In seinem Computerhirn speichere er ganze Bücher ab. Aber vor allem sei Benedikt ein "großer spiritueller Meister, der den Menschen hilft, Gott und sich selbst zu finden".