Wenn es darauf ankommt, ist Virginie Harzé resolut. "Il ne faut pas le dire!" - "Nicht verraten!" ruft sie ihrem Kollegen zu. Gerade hat ein Besucher gefragt, welche Gewürze im Weihnachtsbier der Abteibrauerei Val-Dieu stecken. Aber Harzé hütet das Geheimnis ihrer Rezepturen. Das ist sie ihrer Bierbrauerehre und den Mönchen schuldig, die hier 700 Jahre lang gebraut und gewaltet haben.
Das Brauereiwesen ist, im Bierland Belgien wie anderswo, eine Männerdomäne. Die zahlreichen belgischen Klosterbrauereien sind es erst recht. Doch Harzé, 33 Jahre alt, darf sich Braumeisterin der Abtei "Notre Dame du Val-Dieu" nennen. Wer einen kugelrunden Mönch im Kapuzenhabit erwartet hat, staunt: Er trifft auf eine zierliche Frau in blauem Sweatshirt und Wanderstiefeln, mit einem Knubbel aus braunen Locken auf dem Kopf.
Harzés Arbeitsplatz ist so romantisch, dass er schon fast kitschig ist. Die Abtei liegt in der Nähe von Aubel, einem winzigen Flecken im Herzen des Herver Landes in der belgischen Wallonie. Das "Tal Gottes" hat Obstgärten, sattgrüne Hügel und prächtigen Baumbestand. In 60 Kilometern Entfernung steht auch ein Kernkraftwerk, nach dem allerdings kein belgischer Hahn kräht.
Die Mönche sind nicht mehr da
Die Abtei wurde im Jahr 1216 errichtet. Sie ist die einzige Zisterzienser-Abtei, die die Französische Revolution überlebt hat. Seit jeher brauten die Mönche hier Bier, um etwas Nahrhaftes und Keimfreies zu trinken zu haben. Besonders schmackhaften Gerstensaft verbrauchten sie nicht selbst, sondern verfeinerten das Rezept über die Jahrhunderte, um das Bier in ihrer Gaststätte zu verkaufen.
Vor einigen Jahren zogen die Mönche allerdings aus Val-Dieu weg, nachdem die Bruderschaft immer kleiner geworden war. Dass heutzutage Val-Dieu-Bier fließt, liegt an weltlichen Investoren. Sie machten sich zunutze, dass die "Abteibiere" in Belgien nicht ganz so strengen Regeln unterliegen wie die "Trappistenbiere". Erstere müssen "nach klösterlicher Tradition" entstehen, letztere tatsächlich von Mönchen gebraut oder kontrolliert werden.
Das heiße aber nicht, dass Gott und die Welt einfach so Abteibier brauen dürften, stellt der Brauereiverwalter Alain Pinckaers klar. "In unserer Bibliothek stehen 40.000 Bücher, die ein Historiker nach Bier-Rezepturen durchsucht hat." Das belgische Abteibier-Siegel bekommt nur, wer neben der historischen Verbindung regelmäßige Zuwendungen an eine Kirche oder eine karitative Einrichtung nachweisen kann. Die Brauerei Val-Dieu gibt Geld an eine offene christliche Gemeinschaft, die heute an Stelle der Zisterziensermönche in den Klostermauern lebt.
Maischen, läutern, kochen
Jetzt steht die junge Braumeisterin Harzé auf einer Leiter und zapft sechs Tage altes Jungbier aus einem glänzenden Stahltank. "Ein Aroma von grünem Apfel", erklärt sie, nachdem sie an der bräunlichen Schaumkrone gerochen hat. Val-Dieu hat fünf Biere im Programm: das "Blonde" (sechs Prozent Alkohol), das "Brune" (acht), das "Triple" (neun), das "Grand Cru" (10,5) und das Weihnachtsbier. Kunden mit Sonderwünschen können sich Bier mit Vanille, Wacholder oder anderen eigenwilligen Zutaten brauen lassen.
Dafür schuftet Harzé wie ein Kerl: Oft steht sie um vier oder fünf Uhr morgens auf, schleppt Fässer, Kästen und 25-Kilo-Zuckersäcke. Pinckaers staunt, wenn er sie beobachtet. "Neun von zehn Säcken trägt sie alleine." Aber er wusste, dass Harzé anpacken kann, sonst hätte er sie nicht eingestellt. Nicht nur, dass sie ausgezeichnete Kenntnisse vorwies: "Sie war von den Bewerbern die einzige, die jede Arbeit machen wollte."
Harzé und ihre Helfer maischen, läutern, kochen, überwachen akribisch genau die vielen Temperaturstufen. Je nach Jahreszeit fällt weniger oder mehr Arbeit an. "Eine Frau arbeitet vernünftiger als ein Mann, sie lässt auch bei Stress nicht Fünfe gerade sein", philosophiert Pinckaers. Er unterstreicht, dass die Zutatenliste für Blonde, Brune und Triple streng begrenzt sei und keine zusätzlichen Aromen und Gewürze hinein dürften.
Auf Expansionskurs
Als eigenes Feierabendbier gönnt sich Harzé gern ein Triple, das bernsteinfarbene obergärige Neunprozentbier. Deutsche Biere sind der Agrarwissenschaftlerin meist zu leicht: "Deutschland hat eine andere Tradition, dort wird Bier zum Durstlöschen getrunken", meint sie. Das belgische Starkbier trinkt man langsam und genüsslich, schon allein, weil man es sonst nicht verträgt.
Deshalb setzt Val-Dieu eher nicht auf Deutschland als neuen Exportmarkt. Auf Expansionskurs ist die Brauerei allerdings schon: Kürzlich hat sie Investitionen getätigt, um den Verkauf von 8.500 auf 20.000 Hektoliter jährlich zu steigern. Um auf neue Ideen zu kommen, sagt Harzé der klösterlichen Ruhe und Beschaulichkeit auch mal au revoir: Sie setzt sich dann statt auf die Bierbank aufs Motorrad und donnert auf einer Motocross-Strecke durch den Wald.