DOMRADIO.DE: Die Predigt des emeritierten Pfarrers liegt nicht schriftlich vor – was die Menschen aber so empört hat, dass einige von ihnen sogar den Gottesdienst verlassen haben, war seine Aussage, dass die Opfer von sexuellem Missbrauch irgendwann ihren Tätern vergeben sollten. Nun sollen Betroffene im Gottesdienst gewesen sein, die nach eigenen Aussagen diese Predigt als sehr schlimm erlebt haben. Was sagen Sie zu dem Vorfall?
Peter Frings (Interventionsbeauftragter des Bistums Münster): Es ist in der Tat so, dass es keinen schriftlichen Text von dieser Predigt gibt. Dass Betroffene in dem Gottesdienst dabei gewesen sein sollen, habe ich aus der Presse erfahren. Auch von der Predigt selber habe ich erst aus der Presse erfahren.
Das ist natürlich eine außerordentlich schwierige Situation. Das Bistum Münster verkündet an verschiedenen Stellen, auch in dem Flyer, der in den nächsten Tagen der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden soll, dass wir die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen wollen. Wenn dann in einer Predigt solche Aussagen kommen, ist das natürlich sehr kontraproduktiv zu dem, was wir gerade versuchen, auf den Weg zu bringen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, das Bistum möchte die Perspektive der Opfer einnehmen. Das ist aber schwierig, wenn die Gemeinde bei einer solchen Predigt das Gefühl bekommt, der Geistliche wolle eher die Institution schützen und nicht die Opfer, oder?
Frings: Ja, ich habe auch E-Mails von Betroffenen gekriegt, die Wut und Fassungslosigkeit äußerten. Der Aspekt ist: Vergebung ist keine Geschichte, die man verordnen kann. Wenn überhaupt jemand vergeben kann im Rahmen unserer Welt, dann sind das die Betroffenen selbst, die die Freiheit haben, darüber zu entscheiden, ob sie das tun wollen oder nicht.
Und an den Anfang muss man sicherlich auch stellen: Vergebung ist dann möglich, wenn ein Beschuldigter oder ein Täter – wie man es auch immer bezeichnen will – dann auch ein Stück Einsicht oder Reue zeigt, oder um Vergebung bittet. Aber zu sagen, darüber reden wir bisher nicht, ist genau das, was die Betroffenen nach wie vor kritisieren.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist der Eklat schon ein bisschen hochgekocht und der betreffende Priester hat eine Stellungnahme abgegeben. Seitens des Bistums wurde diese Stellungnahme als "wenig hilfreich" eingeschätzt. Er scheint da überhaupt nicht einsichtig zu sein. Was sagen Sie dazu?
Frings: Also, ich habe gestern nur den Ausschnitt aus der Fernsehberichterstattung gesehen, wo ihn ein Team befragt hat, und auch das, was er selber auf seiner Internetseite geschrieben hat. Das ist genau mein großes Problem dabei: Es fehlt offensichtlich an der Einsichtsfähigkeit. Zu sagen: Ja, ich habe da vielleicht eine bestimmte Absicht gehabt, die ich nicht herüberbringen konnte. Aber man kann auch sagen, dass es um die Opfersicht geht. Das kommt nicht vor und das hat er bisher, soweit ich es weiß, auch nicht deutlich zum Ausdruck gebracht. Das ist, glaube ich, das, was die Verärgerung auslöst.
DOMRADIO.DE: Da schließt sich die Frage an: Wie geht das Bistum damit um?
Frings: Das ist eine gute Frage. Da wird der Generalvikar noch mit dem Bischof reden müssen. Es hat ja den ausdrücklichen Wunsch des Bischofs gegeben, zu sagen: Wir möchten jetzt nicht mehr, dass er predigt. Allein, um im Sinne der Betroffenen klarzumachen, dass Betroffene, die den Gottesdienst besuchen, an dieser Stelle nicht auf diesen Prediger treffen.
Wie das jetzt, nach den Aussagen von gestern, noch einmal neu zu bewerten ist, darüber werden wir im Bistum noch einmal beraten müssen. Denn wir müssen uns immer vorhalten lassen: Wir wollen die Perspektive der Betroffenen einnehmen und müssen das dann auch zur Grundlage unserer Entscheidungen machen. Zumindest müssen wir darüber nachdenken, wie damit umzugehen ist – denn ich glaube auch, dass es für viele Betroffene schwierig, wenn nicht sogar unerträglich ist, wenn sie damit konfrontiert würden, dass genau dieser Geistliche am nächsten Wochenende wieder im Gottesdienst erscheint.
DOMRADIO.DE: Eine Maßnahme war, dass es gestern Abend einen öffentlichen Austausch, eine öffentliche Aussprache gegeben hat. Ist denn dabei irgendetwas herausgekommen, worauf man bauen könnte?
Frings: Ich selber war nicht dabei, weshalb ich zu dem Ablauf des Abends gar nichts sagen kann. Ich kenne nur das, was in der Presse zu lesen ist. Es ist wohl auch um dieses Thema gegangen und auch um die Frage, was denn wirklich in dem Gottesdienst vorgefallen ist. Da gehen die Meinungen offensichtlich auseinander zwischen der Wahrnehmung des Geistlichen selber – der ja von Tumulten gesprochen hat und an irgendeiner Stelle taucht sogar der Begriff Mob auf – und der Wahrnehmung der Gemeindemitglieder, die wohl im Gottesdienst und auch gestern zugegen waren, die gesagt haben, dass es deutlich anders war.
Welche Konsequenzen folgen, wird sich die Gemeinde sicherlich überlegen müssen. Es ist in der Presse lobend erwähnt worden, dass man diesen Gesprächsabend sofort angeboten hat und sich dem Thema gestellt hat. Die Gemeinde wird sicherlich auswerten, wie man damit als Gemeinde umgehen muss, nach dem, was gestern Abend von den Anwesenden gesagt worden ist. Es ist eine Frage der Gemeinde selber, aber auch des Bistums.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche hat einen großen Vertrauensverlust erlitten durch diesen Missbrauchsskandal. Jetzt kommt so etwas auch noch dazu, in einer Phase, in der es darum geht, in den Gemeinden wieder Vertrauen zu bekommen. Sie sind Interventionsbeauftragter des Bistums Münster. Was empfehlen Sie denn den Gemeinden oder dem Bistum in einer solchen Situation?
Frings: Für mich ist das besonders schwierig, weil ich seit knapp drei Monaten auf dieser neuen Stelle bin und jetzt versuche, Kontakte in alle Bereiche aufzunehmen und klar zu sagen: Wir wollen auch mit den Betroffenen überlegen und schauen, was die richtigen Schritte sind, die wir gehen müssen. Sie haben den immensen Vertrauensverlust der katholischen Kirche beschrieben. Darum muss es gehen. Wir müssen daran arbeiten, dass man das, was wir sagen und tun, wieder ernst nehmen kann. Das wird sehr schwierig werden! Den Eindruck habe ich schon jetzt nach den drei Monaten.
So eine Predigt ist natürlich für die Arbeit, die ich jetzt mache, indem ich versuche, den Kontakt aufzubauen, eine Katastrophe, weil die Leute sagen: Ihr sagt auf der einen Seite dies und tut dann an anderer Stelle Gegensätzliches. Aus meiner Sicht muss das für den Priester Konsequenzen haben. Ich kann das nur so deutlich sagen.
Das Interview führte Andreas Lange.