Wer schon einmal zu den üblichen Besuchszeiten die Sixtinische Kapelle in Rom besucht hat, weiß ein leidvolles Lied davon zu singen: Durchgeschoben von einer Menschenmasse bleiben nur wenige Minuten, um die berühmtesten Fresken der Welt in Augenschein zu nehmen - dann sind auch schon die nächsten dran. Michelangelos Darstellungen des Jüngsten Gerichts an der Stirnseite, der Schöpfungsgeschichte an der Decke und der Propheten und Sybillen des Alten Testaments in den Zwickeln sind wohl die gigantischste Leistung, die je ein Maler vollendet hat. Zwölf Jahre investierte der Renaissance-Künstler in sein Werk.
Verirrt?
Eine am Donnerstag eröffnete Ausstellung in der Alten Bayerischen Staatsbank in München ermöglicht nun eine Betrachtung in aller Ruhe.
Wobei der Titel "Michelangelos Sixtinische Kapelle" leicht in die Irre führt, denn nicht alle Fresken dort stammen von ihm. Bis 9. Juli erwarten den Besucher 34 Farbreproduktionen von Originalen des Wiener Magnum-Fotografen Erich Lessing (93) mit allen Deckengemälden der Sixtina und einer Riesentafel des Jüngsten Gerichts. Lessing konnte die Fresken gleich nach der großen Sixtina-Restaurierung in den 1990er Jahren auf dem Gerüst fotografieren - und kam ihnen dabei so nahe wie kein Papst oder Kardinal.
Trübes Vergnügen
Das Ziel der Ausstellungsmacher Gabriel und Beau Ioana war es, die Fresken einem breiten Publikum außerhalb Roms in ihrer majestätischen Größe nahezubringen. Dieses auf den ersten Blick besondere Privileg für die Besucher, die bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte - oder vielmehr die Abbildungen davon - aus nächster Nähe betrachten und studieren zu können, erweist sich dann doch als getrübtes Vergnügen, als ambivalentes Erlebnis.
Von dieser Ausstellung werden vor allem diejenigen profitieren, die noch nie in der Sixtinischen Kapelle gestanden haben. Für alle anderen ist der Erkenntnisgewinn, diese beeindruckenden Kompositionen fast in Originalgröße betrachten zu können, relativ gering. Die auf Reklametafel-Format aufgeblasenen Reproduktionen wirken platt und unscharf und sind auch noch unsensibel beleuchtet (kein LED-Licht).
Ausgetrieben
Die Scheinwerferspots auf die farbintensiven Repliken erzeugen helle und dunkle Stellen in den Fresken, wo gar keine sind, und verfälschen so deren Gesamteindruck. Einige Repliken sind in die Durchgänge um die große Halle gehängt, so dass man sie gar nicht in ihrer Gesamtgröße überblicken kann (das kleinste Foto misst vier mal drei Meter). Die kahle und nüchterne Innenarchitektur des ehemaligen Bankgebäudes tut ein Übriges, um diesen religiösen Bildern jeden sakralen Charakter auszutreiben.
Alle Bilder sind mit einem Audiocode versehen, so dass man sich per Audioguide Informationen erzählen lassen kann. Spezielle 3D-Brillen führen virtuell durch die Sixtinische Kapelle und vermitteln eine originalgetreue Ansicht der Bilder an ihrem originalen Standort.
Sixtinisches Disneyland
Je länger man aber in dieser Ausstellung verweilt, desto mehr beschleicht einen das Gefühl, dass aus diesem Weltkulturerbe ein schickes Kultur-Event geworden ist: die Sixtinischen Fresken als Disneyland sozusagen. Wenn man auf die stolzen 19,50 Euro Eintritt noch mal die gleiche Summe drauflegt, bekommt man schon einen schönen Bildband zur berühmtesten Kapelle der Welt. Das ist in jedem Fall ergiebiger.