Schrille Pfiffe einer Trillerpfeife geben den Takt an, Trommeln schlagen, Frauen tanzen. Wir sind im Norden Burundis, in Muyinga, angekommen und werden überschwänglich begrüßt. Von Batwa- Pygmäen. Die Batwas gelten als die ältesten Bewohner, sie besiedelten Ruanda und Burundi noch vor den Hutus und Tutsi. Das Nomadenvolk wird heute diskriminiert und verachtet.
Diese Ungerechtigkeit wollen Sr. Godelive und ihre Mitstreiter nicht hinnehmen, sondern sich für das Verhalten ihrer Landsleute entschuldigen und den Batwas Versöhnung anbieten. In Taten, nicht in Worten.
Zwei Familien - eine Ziege
80 Ziegen sind deswegen auf dem Feld zusammen getrieben. Aus kleiner Distanz kommentieren sie die tanzenden Frauen mit ihrem Gemecker. Ein Mitarbeiter der Provinzverwaltung von Muyinga, selber als Laie Mitglied im Versöhnungsorden Oeuvre apostolique vie nouvelle pour la réconciliation, das der Bischof gegründet hat, hat zusammen mit Komitees der Batwas Familien bestimmt, die eine Ziege bekommen sollen. Immer zwei Familien werden sich eine Ziege teilen. So soll sichergestellt werden, dass keine Familie die Ziege schlachtet oder verkauft, um schnell an Geld zu kommen. Die Ziegen sollen die Lage der Familien langfristig verbessern.
"Dann haben die Kinder Milch" schlussfolgere ich, als mir das Projekt erklärt wird. "Nein. Diese Rasse hier gibt keine Milch. Die Ziegen sind wichtig für den Dung. Die Familien können sich keinen chemischen Dünger leisten, der Dung erhöht den Ertrag ihrer Felder. So sie denn welche bewirtschaften können.
Die Ziegen werden verteilt
Die Wolkendecke bricht auf, von Null auf Hundert sticht die Sonne unbarmherzig. Es ist Regenzeit, aber es regnet nicht. Die Saat verbrennt oder wird gar nicht erst ausgebracht. Die Menschen, die inzwischen nicht mehr tanzen, lauschen erst ihren Sprechern, dann versammeln sie sich um die Ziegen.
Ile-Defense vom Versöhnungswerk hat ein Stempelkissen, Jean von der Provinzregierung eine lange Liste. 80 Ziegen werden jetzt verteilt: wer aufgerufen wird, muss einen Strick vorweisen, Helfer binden diesen um einen der Läufe einer Ziege, die neuen Besitzer, alles Analphabeten, drücken ihren Daumen erst in das Stempelkissen dann auf die Quittung - und bekommen die Ziege überreicht.
"Jetzt habe ich nie mehr Hunger"
"Jetzt habe ich nie mehr Hunger" sagt der alte, runzelige, kleine Herr in der Warteschlange. Seine Augen leuchten. Triumphierend zieht er einen mühsam gedrehten, völlig ausgefranzten Strick aus seinem Hosenbund. Der viel zu weit um seine klapperdürre Taille schlackert. Ich schlucke hart. Auch wenn er das gerne anders hätte: die Ziege wird ihn nicht vor dem Hunger bewahren. Kurzfristig sowieso nicht. Und langfristig nur, wenn es regnet und die Batwas Felder finden. Das sieht nicht so aus. Die Kinder, die in Scharen um mich herumspringen, sind von dicken, krustigen Lehmschichten bedeckt. Ihre Bäuche geschwollen. Jeder sieht sofort, dass sie hungern.
Eine Frau zupft mich aufgeregt am Ärmel. Unbedingt soll ich ihr Baby anschauen. Apathisch hängt das kleine Bündel, vielleicht drei, vier, fünf Monate alt, auf ihrem Arm. Es wimmert. Die Mutter zwängt ihren Finger in das kleine Mündchen. Die kleine Zunge darin ist ein einziger, eitriger Klumpen. " Die Kinder sind so schwer krank, weil sie nichts zu essen haben", wird mir der Arzt später antworten, als ich erschrocken frage, was das Baby hat. "Die Kinder haben einem Infekt nichts entgegen zu setzen, jeder kann sie dahinraffen."
Eine Handvoll Essen: Bohnen, Reis und Palmöl
Mittlerweile haben alle Ziegen einen Besitzer gefunden. Angelina, eine knochige alte Dame, zieht ihr Tuch hoch und reibt sich den Bauch. Auch sie hat Hunger. Die Menschen, ca. 150 Familien, reihen sich jetzt in langen Schlangen auf. Den ganzen Morgen haben junge Novizinnen aus dem Versöhnungswerk Bohnen und Reis gewogen, Palmöl in hunderte, kleine Plastikbeutel abgefüllt. Wir wandern den Hügel zum Pickup der Gemeinschaft hinauf, und mit einem Kilo Reis und zwei Kilo Bohnen wieder hinunter. Jedes Mal tragen wir die Päckchen ein Stück weiter. Jedes Mal leuchten uns aufs Neue ein paar Augen entgegen.
Wobei das Leuchten mein Herz nicht leicht machen kann. In vier Tagen schon wird der kleine Essensvorrat aufgebraucht sein. Sitzen die Menschen wieder zu zehnt in ihren kleinen, kreisrunden Strohhütte und die Bäuche bleiben wieder leer. Eine Pause vom Hungern. Nicht mehr. Nicht weniger.
Als wir aufbrechen sind wieder Wolken aufgezogen. Dunkle dieses Mal. Der Himmel hat ein Einsehen, mag dem Elend auch nicht länger nur zuschauen. Nach den ersten Kurven fallen dicke Tropfen. Auf die Pickup Frontscheibe. Und auf das Land der Batwas.