DOMRADIO.DE: Warum ist es gut, dass die Welt manchmal unsere Kreise stört?
Dr. Werner Kleine (Pastoral- und Glaubens-Referent der Katholischen Citiykirche Wuppertal, Arbeitsfeld "Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit" für den Pastoralen Zukunftsweg): Wir sind ja als Christen in die Welt hinein gesandt, um zu verkünden. Jesus sagt als Auferstandener im Johannesevangelium oder auch in der Apostelgeschichte: "Ich sende euch in alle Welt." Das heißt, die Kirche ist nicht dazu da, sich selbst zu genügen, um sich selbst zu kreisen, sondern sie ist ein Werkzeug. Es geht noch nicht einmal um die Kirche selbst, die einen Wert in sich hätte. Sie hat ihren Wert nur dann, wenn sie ihre Wesensbestimmung verwirklicht, in die Welt hinein zu gehen, um das Wort Gottes zu verkünden. Und wir haben uns in 2000 Jahren Kirchengeschichte ein wenig angewöhnt, uns selbst zu genügen. Es ist schön gemütlich, wenn wir bei uns sind – und da ist es immer wieder gut, wenn die Welt tatsächlich verstörend wird.
Dieser Satz hat übrigens einen Sitz im Leben. Als ich bei dem Regionalforum in Euskirchen auf der Bühne stand, konnte ich sehen, dass im hinteren Bereich von außen immer Kinder an die Scheibe klopften. Ein Saaldiener ging dann dort hin und zog den Vorhang zu. Da waren wir wieder unter uns. Die klopften aber weiter, man hörte sie also. Das habe ich zum Anlass genommen, um zu sagen: "Wir haben jetzt hier die Vorhänge zugezogen, jetzt stört uns keiner mehr, jetzt sind wir wieder unter uns." Dabei hätte man ja vielleicht auch die Türen öffnen können und hätte die Kinder reinlassen können. Und vielleicht klopfen da viele draußen an und stören uns in unserer Selbstgenügsamkeit. Ich finde es gut, dass die stören, weil wir uns dadurch auch verändern müssen.
DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln hat sich auf den Pastoralen Zukunftsweg gemacht. Die katholische Kirche befindet sich in einem großen Umbruch. Der Pastorale Zukunftsweg dürfe aber nicht eine innerkirchliche Selbstvergewisserung bleiben, davor haben Sie gewarnt. Besteht denn die Gefahr, dass der Pastorale Zukunftsweg genau das werden könnte?
Kleine: Der Pastorale Zukunftsweg ist zuerst einmal eine innerkirchliche Selbstvergewisserung, und das muss er in einer gewissen Weise auch sein. Wir müssen ja selbst erst mal eine Standortbestimmung haben. Und wenn wir das Evangelium Jesu Christi in der Welt verkünden wollen, dann müssen wir uns selbst erst einmal im Klaren darüber sein, was der Inhalt dieses Evangeliums ist.
Von daher habe ich da überhaupt nichts dagegen – ganz im Gegenteil, der Pastorale Zukunftsweg ist eine Selbstvergewisserung. Aber er darf es nicht bleiben. Wir dürfen am Ende des Weges nicht sagen: "Es ist schön, dass wir beisammen waren, dass wir mal darüber geredet haben, sondern wir müssen dann natürlich diesen Schritt hinbekommen, jetzt tatsächlich in die Welt zu gehen, mit der Welt gemeinsam das Reich Gottes aufzubauen."
DOMRADIO.DE: Jetzt hat es den offenen Austausch einer großen Zahl von Katholiken in den drei Regionalforen gegeben. Wie geht es denn nun weiter? Was passiert jetzt? Was sind die nächsten Schritte?
Kleine: Was man auf den Regionalforen sehr oft wahrgenommen hat, ist eine Erwartungshaltung, die besagt hat: Jetzt wird uns erzählt, wie es gehen soll. Diese Erwartungshaltung musste man ein wenig enttäuschen, weil wir vonseiten der fünf Arbeitsfelder und der aktuellen Etappe mit einer Zielskizze gekommen sind. Eine Skizze ist noch nicht das fertige Bild. Die Regionalforen waren ein ganz wichtiger Schritt, um zum Bild zu kommen. Das heißt, wir haben uns im letzten Jahr in den Arbeitsfeldern Gedanken gemacht und überlegt: Wie könnte die Zukunft hier im Erzbistum Köln aussehen? Das haben wir vorgestellt und auch zur konstruktiv-kritischen Diskussion gestellt. Das ist – Gott sei Dank – auch wahrgenommen worden.
Viele von den Rückmeldungen sind Wortbeiträge gewesen. Aber man konnte auch durch Online-Tools Rückmeldungen geben. Diese Rückmeldungen haben wir wahrgenommen, die sind dokumentiert, die werden in die weiteren Beratungen einfließen. Also all das, was da gesagt worden ist, bereichert uns noch einmal in unseren weiteren Überlegungen, dann das Zielbild zu Mitte des Jahres 2020 zu schärfen. Das war das Ziel der Regionalforen.
Manche haben, glaube ich, hinterher gedacht, jetzt wissen wir, wie es nach vorne geht. Das konnte man ein bisschen erahnen. Aber es geht eigentlich noch um viel mehr. Nämlich darum, dass wir natürlich jetzt von der Basis auch hören wollten und auch gehört haben, was da an Beiträgen, vielleicht an Einwänden oder an zusätzlichen Anregungen über das hinaus kommt, was wir uns gedacht haben.
DOMRADIO.DE: Die Kirche muss sich einer Gesellschaft stellen, die sich in einer Glaubens- und Gotteskrise befindet. Da ist nichts mehr selbstverständlich. Welche Rolle spielen denn da die kirchenpolitischen Diskussionen über den Zölibat oder das Amt für Frauen?
Kleine: Ich muss das mal ganz brutal sagen, weil ich in meiner eigentlich hauptberuflichen Tätigkeit die Citypastoral in Wuppertal verantworte. Da stehe ich auf der Straße, und ich sage das und kann es nicht oft genug sagen: "Die ganz großen kirchenpolitischen Fragen, die uns in der Kirche bewegen, die, die Sie gerade genannt haben, interessieren auf der Straße leider niemanden." Wir machen daraus ganz große Fragen, an denen die Existenz der Kirche hängt. Und sie sind ja auch wichtig, daran kann man ja nicht vorbeigehen. Da hängt auch sehr viel dran, aber Sie interessieren auf der Straße tatsächlich niemanden.
Die Menschen wollen wissen: Wie komme ich am Ende des Geldes noch über den Monat? Wie bekomme ich es hin, als Alleinerziehende oder Alleinerziehende meine Kinder groß zu bekommen? Was macht eine Frau mit einem Ehepartner, der sie möglicherweise schlägt? Was macht ein Ehepartner mit seiner Frau, mit der er sich nicht mehr versteht? Wie werden die Eltern, neben denen man heute meist nicht mehr wohnt, alt und wie werden sie gepflegt? Das sind ganz viele lebenspraktische Fragen, die die Menschen beschäftigen, bei denen wir den Menschen eigentlich an der Seite stehen müssen.
Und wir geben im Moment sehr viel Energie in die ganz wichtigen großen kirchenpolitischen Fragen, auf die wir dann doch keine Antwort finden, weil sie keine rein deutschen Fragen sind, sondern die Weltkirche beschäftigen. Wohlgemerkt, ich will damit nicht sagen, dass diese Fragen banal oder unwichtig werden. Das Gegenteil ist der Fall. Aber wir stellen nicht wirklich die Fragen, die die Menschen an uns haben.
DOMRADIO.DE: Sie begleiten den Pastoralen Zukunftsweg im Erzbistum Köln im Arbeitsfeld Kommunikation, Dialog und Öffentlichkeit. Was steht denn an? Wie muss es da weitergehen, damit die Kirche mitten in der Gesellschaft präsent bleibt?
Kleine: Wir sind jetzt an einer ganz wichtigen Schwelle, auch gerade nach den Regionalforen, wo wir noch einmal viel gehört haben. Welche Gedanken kommen von da auf uns zu? Das letzte Jahr war natürlich sehr dadurch geprägt, Ideen und Konzepte zu entwickeln. Ein Konzept besteht erst mal aus schwarzen Strichen auf weißem Papier. Das sind erst einmal nur Buchstaben. Da kann man lochen, kann man tackern und man kann es abheften. Und das war es dann.
Das wollen wir ja aber gerade nicht. Wir müssen natürlich jetzt gucken: Wie bekommen wir das in die Praxis umgesetzt? Da gibt es ein Generalvikariat mit vielen Mitarbeitern. Es gibt weit über 1.000 pastorale Dienste, die ja jetzt nicht wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und darauf warten, dass wir die Heilsbotschaften verkünden, sondern die natürlich auch ihre Ideen haben.
Ich selbst bin fast 30 Jahre im pastoralen Dienst. Und ich weiß, wenn ich jetzt nicht Leiter des Arbeitsfeldes 3 (Arbeitsfeld 3: Dialog, Kommunikation und Öffentlichkeit, Anm. d. Red.) wäre, dann würde ich auch darauf gucken und sagen: "Lass die mal reden." Wir müssen die große Masse an Menschen, die vielen Ehrenamtlichen und die Gottesdienstbesucher im Erzbistum Köln erreichen und mitnehmen. Das macht man nicht, indem man einen Schalter umlegt, sondern wir müssen deren Herzen gewinnen.
Das ist etwas, was jetzt passieren muss, was jetzt passiert. Wir treten nun in die nächste Phase ein, bei der wir gemeinsam mit den Fachabteilungen im Generalvikariat unsere Ideen korrelieren, um die auf dieser Ebene erst mal umzusetzen. Dann wird es natürlich auch darum gehen, das bis in die Basis hinein tatsächlich an den Mann und die Frau zu bekommen.
DOMRADIO.DE: Wie zuversichtlich blicken Sie denn beim Pastoralen Zukunftsweg nach vorne – bei all den innerkirchlichen Streitereien zwischen den Bischöfen, zwischen dem Vatikan und der Bischofskonferenz und so weiter? Sie haben gesagt, viele Themen sind auch weltkirchlich ein Thema, die ja gerade viel Kraft und Energie rauben...
Kleine: Ich bin ja froh, dass die sich streiten. Wenn wir in die Heilige Schrift gucken, da sind Petrus und Paulus auch nicht auf einem grünen Zweig gewesen. Wir feiern heutzutage am selben Feiertag ihren Namenstag, aber wenn Sie mal in den Galaterbrief gucken, wie der Paulus da mit dem Petrus umgegangen ist. Die haben sich gestritten wie die Kesselflicker – die anderen Aposteln übrigens auch.
Also ich bin ja froh, wenn die Bischöfe streiten, weil es dann doch zeigt: Die sitzen jetzt nicht nur da und trinken Kaffee. Ich finde das wunderbar, und ich finde es wunderbar, dass wir das mitkriegen. Das, was in der Öffentlichkeit an Dolchstoßlegenden und so kolportiert wird, das ist, finde ich, etwas daneben, muss ich ganz ehrlich sagen. Nein, ich erlebe das als sehr lebendig. Auch, dass der Vatikan sich mit den deutschen Bischöfen streitet. Das ist übrigens alles nicht neu. Das gab es auch in den letzten Jahrzehnten, gibt es seit Anbeginn der Kirche. Jetzt kriegen wir es nur mit.
Das ist wunderbar, dass man merkt, dass da richtig Leben drin ist. Die Frage ist immer nur, wie lebensrelevant ist das, was da ist? Sitzen die Leute nur vor dem Fernseher mit einer Tüte Popcorn und sagen: "Ach, guck mal, ist ja lustig." Oder interessiert sie das wirklich im Leben? Das heißt, Sie haben vorhin mal gesagt, es gibt eine Glaubens- und Gotteskrise in der Gesellschaft. Das weiß ich gar nicht, ob es das gibt. Vielleicht gibt es eine Gesellschaftskrise in der Kirche, dass wir die Fragen der Menschen, die Sie wirklich haben, so gar nicht mehr sehen. Vielleicht müssten wir da eher tatsächlich Hörende werden, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Ich glaube, dass das gehen kann.
Das Interview führte Katharina Geiger.