Eine Studie über Muslime weltweit zeigt ein disparates Bild

Einheit und Verschiedenheit im Islam

Die 1,6 Milliarden Muslime weltweit sind im Glauben an Gott und den Propheten Mohammed geeint; sie verbinden Praktiken wie das Fasten während des Ramadan und das Almosengeben. Daneben gibt es weitreichende Unterschiede in Glaubensfragen - einschließlich der Auffassung, wie wichtig Religion ist, wer als Muslim gilt und was man im Islam darf.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Das ist das Ergebnis einer weltweiten Studie des Washingtoner Forschungsinstitut Pew Resarch Centers. Für die nun veröffentlichte Untersuchung hatte das Institut 38.000 erwachsene Muslime in mehr als 80 Sprachen befragt. Deren Gemeinschaften in 39 Ländern, in denen die Interviews stattfanden, repräsentieren gut zwei Drittel der muslimischen Weltgemeinde. Praktisch alle nennen das Bekenntnis zu dem einen Gott und seinem Gesandten Mohammed den zentralen Glaubensinhalt. Wie wichtig aber Religion für das eigene Leben ist, darüber gehen die Urteile auseinander.



In den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas geben die Befragten durch die Bank zu 75 Prozent oder mehr an, Glaube sei für sie "sehr wichtig"; einen Spitzenwert von 98 Prozent erreicht der Senegal, Ausreißer nach unten ist der multikulturelle Libanon mit 59 Prozent. Auffallend gering hingegen die Überzeugung in ehemals kommunistischen Ländern in Südosteuropa und den früheren

Sowjetstaaten: In Russland finden 44 Prozent der Muslime Religion "sehr wichtig". Frömmstes Land der Region (mit Ausnahme der Türkei: 67 Prozent) ist Tadschikistan mit 50 Prozent; Bosnien-Herzegowina bringt es auf 36 Prozent, Albanien auf magere 15 Prozent. Zum

Vergleich: In den USA halten 69 Prozent der Muslime ihren Glauben für unverzichtbar.



Im Orient und Nordafrika wächst für die Muslime die Bedeutung des Glaubens mit dem Lebensalter. Befragte über 35 Jahren gaben eher an, zu beten und den Koran zu lesen. In der übrigen Welt verzeichnete die Untersuchung keinen scharfen Generationenunterschied. Lediglich in Russland sind junge Muslime im Durchschnitt engagierter als ältere.



Besuch von Gotteshäusern ist hauptsächlich Männersache

Im Gegensatz zu christlichen Gemeinschaften ist im Islam der Besuch von Gotteshäusern hauptsächlich Männersache. In Zentral- und Südasien erklärte teils sogar die Mehrheit der Musliminnen, niemals eine Moschee zu besuchen. Den Grund dafür sehen die Forscher jedoch weniger in einer Geringachtung des Glaubens als in kulturellen Normen, die Frauen aus dem öffentlichen Leben fernhalten. In religiösen Praktiken wie Gebet, Fasten oder Almosengeben zeige sich nämlich keine durchgängige Differenz zwischen den Geschlechtern.



Weithin machen sich Muslime auch nicht viel aus Unterschieden zwischen Sunniten und Schiiten. In Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas bezweifeln wenigstens 40 Prozent der Sunniten, dass Schiiten echte Glaubensgenossen seien. Außerhalb dieser Region sieht man das lässiger. Muslime in Zentralasien sowie in Süd- und Osteuropa nannten sich zum Großteil "einfach Muslime". Das Gleiche gilt von Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Gemeinde weltweit. Auch im Libanon und Irak, wo große Gruppen von Sunniten und Schiiten nebeneinander leben, liegt die gegenseitige Akzeptanz höher.



In 32 der 39 untersuchten Länder gibt es für die Mehrheit der Muslime nur eine einzige Auslegung des Islam. Pluralistischer zeigten sich die muslimischen Befragten in den USA: Dort meinen 57 Prozent, dass das Wort Gottes im Koran unterschiedlich gedeutet werden kann. Noch liberaler sind nur Muslime in Marokko und Tunesien (58 Prozent). An eine gewisse Spannbreite des islamischen Heilswegs glauben auch Palästinenser (49 Prozent), Libanesen und Senegalesen (45 Prozent), Muslime im Tschad (44 Prozent) und im Irak (43 Prozent).



Der Koran gilt zwar als Wort Gottes; dass er nur wortwörtlich verstanden werden kann, wird aber nicht von allen geteilt: Während 93 Prozent der Muslime in Kamerun diese Aussage unterschreiben, tun dies nur 54 Prozent in der Demokratischen Republik Kongo. Auch im Volksglauben zeigen sich Unterschiede. Die Existenz von Engeln halten in Südostasien 98 Prozent für gegeben, in Südosteuropa 55 Prozent. In den meisten Ländern glaubt mindestens die Hälfte an Geister oder den "bösen Blick". Vielerorts ist zudem die Erwartung verbreitet, den Beginn des Endgerichts persönlich zu erleben: bei 83 Prozent in Afghanistan, 72 Prozent im Irak und 86 Prozent in der Türkei.