Eine theologische Betrachtung zu Palmsonntag

Entbunden vom alten, frei für ein neues Leben

Mit Palmsonntag beginnt die Karwoche. Wenn in Palmsonntagsmessen ein echter Esel zugegen ist, freut das nicht nur die jüngsten Besucher. Das Reittier Jesu spielt auch theologisch betrachtet eine besondere Rolle.

Autor/in:
Fabian Brand
Eindrücke vom Pontifikalamt am Palmsonntag mit Erzbischof Woelki / © Beatrice Tomasetti (DR)
Eindrücke vom Pontifikalamt am Palmsonntag mit Erzbischof Woelki / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Pacta sunt servanda" lautet ein altes lateinisches Sprichwort. Auf Deutsch könnte man es etwa so widergeben: "Verträge müssen eingehalten werden". Bis heute ist das ein wichtiges Prinzip im öffentlichen und privaten Recht. Es kann nicht jeder machen, was er will, sondern man muss manche Dinge regeln. Immer wieder muss man Verträge unterschreiben, ob es nun der Mietvertrag für eine Wohnung ist oder der Vertrag für den Handytarif. An solche Verträge sind beide Seiten gebunden, und das gibt Sicherheit. Denn Verträge sind nun einmal einzuhalten.

Gut angebunden

Auch im Evangelium vom Palmsonntag geht es in einer unscheinbaren Stelle um das Angebundensein. Bei Matthäus lesen wir nämlich: "Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir!" (Mt 21,2)

Ein Esel / © Dragonika (shutterstock)

Die Eselin und ihr Fohlen sind an den Vertrag mit ihrem Herrn gebunden – freilich ein recht einseitiger Vertrag, denn das Reittier hatte keine Wahl. Aber Jesus entbindet beide von ihrer Aufgabe und führt sie einer neuen Bestimmung zu: Was auch immer sie vorher leisten mussten, jetzt werden sie zum Reittier für Christus. Mit beiden Tieren zieht er in seine Stadt Jerusalem ein, wo er bald das Leiden auf sich nehmen wird.

Frei machen für den Dienst für Christus

Das ist ein schöner Gedanke, den uns die Liturgie am Beginn der Karwoche mit auf den Weg gibt: sich losbinden zu lassen von seiner alten Aufgabe, um sich ganz in den Dienst für Christus zu stellen. Sich entbinden zu lassen von so vielem, woran Menschen gebunden sind, woran sie sich manchmal auch zu sehr klammern.

Der Satz, den Jesus seinen Jüngern mitgibt, ist eindeutig: Wenn jemand die Jünger fragt, warum sie die Eselin losbinden, sollen sie sagen: "Der Herr braucht sie" (Mt 21,3). Der Dienst für Jesus ist wichtiger als das, was vorher war. Was die Eselin und ihr Fohlen auch vorher gebunden hat, wird gelöst, damit sie Christus in seine Stadt hineintragen kann.

Nachfolge beginnt beim Losbinden

Reformator Martin Luther (1483-1546) wird sinngemäß mit folgendem Wort zitiert: "Der Esel lässt sich von Christus reiten; von wem lassen wir uns reiten?" Diese Frage lässt sich auch umformulieren: Sind wir bereit, uns von alltäglichen Aufgaben losbinden zu lassen, weil Christus uns braucht?

Das ist eine Frage, die das ganze Evangelium durchzieht. Sie wird mit dem ersten öffentlichen Auftreten Jesu virulent, als er Menschen in seine Nachfolge beruft. Und sie wird auch auf seinem Kreuzweg noch einmal greifbar: Wenn Simon von Cyrene das Kreuz aufgeladen wird, um Christus die Last zu erleichtern. Nachfolge, Kreuzesnachfolge: Sie beginnt dort, wo Menschen bereit werden, sich losbinden zu lassen von ihrem bisherigen Leben, um sich in den Dienst für ein neues Leben nehmen zu lassen. Sich von Christus reiten zu lassen, um Luthers Wort aufzugreifen, heißt in der Sprache des Evangeliums: Christus nachzufolgen.

Auf dem Prüfstand

Mit dem Palmsonntag treten wir in die Heilige Woche ein, in der das Geheimnis von Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen gefeiert wird. Das ist eine gute Gelegenheit, um einmal neu darüber nachzudenken: Woran sind wir in diesem Leben gebunden? Woran machen wir unser Leben fest? Und sind wir bereit, uns davon loszumachen, weil Christus uns braucht?

Die Frage nach unserer eigenen Nachfolge bricht in diesen Tagen der Karwoche neu auf. Das "Hosanna" des Palmsonntags verwischt schnell im "Kreuzige ihn" des Karfreitags. Und diejenigen, die Jesus am Palmsonntag noch begleiten, lassen ihn am Karfreitag im Stich. Die Nachfolge steht in dieser Woche auf dem Prüfstand.

Gedanken für die Heilige Woche

Sich selbst losbinden lassen, um frei zu werden im Dienst für Christus: Das ist ein guter Gedanke, der uns durch diese heiligen Tage begleiten kann. So viele Personen, die Jesus auf ihre Weise nachfolgen, stehen uns in dieser Karwoche vor Augen. Angefangen bei den Frauen, bis zuletzt unter dem Kreuz ausharren, bis zu Simon von Cyrene, der noch auf dem Kreuzweg ein Jünger Jesu wird. Sich losbinden lassen von dem Alten, um frei zu werden für das Neue: Das ist die Botschaft, die uns durch diese Tage begleiten kann.

Karwoche

Die letzte Woche vor Ostern wird auch als Karwoche bezeichnet. Das Wort "Kar" stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "Trauer", "Klage" oder "Kummer". Die Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag: In Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem versammeln sich die Gläubigen zur Segnung der Palmen - in Deutschland meist Buchsbaumzweige - und ziehen dann in einer Prozession zum Gotteshaus.

Karwoche / © Felix Kästle (dpa)
Karwoche / © Felix Kästle ( dpa )
Quelle:
KNA