DOMRADIO.DE: Angela Merkel ist zu ihrer voraussichtlich letzten Rom-Reise als Kanzlerin aufgebrochen. Mit wie viel Vorfreude hat sie sich auf den Weg gemacht?
Volker Resing (Chefredakteur "Herder Korrespondenz" und Merkel-Biograf): Man merkt, dass sie viel Vorfreude hat und dass Rom für sie in ihrer Kanzlerschaft ja doch ein Ort war, wo sie gerne hin geflogen ist. An diese verschiedenen Begegnungen wird sie sich erinnern. So wird das Ganze ein entspannter Besuch mit noch einigen Höhepunkten: Der Audienz bei Papst Franziskus, aber dann auch das Friedensgebet im Kolosseum mit Sant'Egidio. Das wird für Sie ein interessanter Besuch sein.
DOMRADIO.DE: In Ihrer Merkel-Biografie schreiben Sie, dass kein Kanzler vor ihr so eine profunde theologische Vorbildung mitgebracht hat. In welchen Bereichen hat Sie die theologische Gewandtheit von Kanzlerin Merkel überrascht?
Resing: Ich habe immer gesagt, dass sie so bibelfest ist wie kein Kanzler vor ihr. Und ich glaube, dass diese Festigkeit und dieses "zu Hause sein" in den christlichen Erzählungen etwas ist, was auch in den Gesprächen mit Papst Franziskus sicherlich eine Rolle spielt.
Vielleicht ist der berührendste Punkt eigentlich, dass die Uneitelkeit in ihrer Amtsführung und dieses Bewusstsein, das es noch was anderes gibt als Politik, vielleicht aus ihrer christlichen Haltung herauskommt und dass das auch etwas ist, was mit Papst Franziskus verbindet.
DOMRADIO.DE: Was für ein Verhältnis hat sie zu Papst Franziskus?
Resing: Ich glaube, es ist eigentlich eine überraschende Nähe, dass sie beide nicht damit gerechnet haben, dass sie sozusagen was miteinander anfangen können. Die Kanzlerin war fünf Mal bei ihm in Privataudienz gewesen, so oft wie kein Kanzler vorher. Auch andere Regierungschefs waren nicht so häufig beim Papst. Sie hatten einfach etwas miteinander zu bereden.
Das waren überraschende Punkte, wo sie sich getroffen haben. Das war zum einen die Flüchtlingskrise. Die erste Amtshandlung von Papst Franziskus war der Besuch in Lampedusa bei den Flüchtlingen. Das war ein Punkt, wo sofort auch Angela Merkel schon 2013 gemerkt hat, dass das ein wichtiges Thema in Europa sein wird. Sie waren sich sehr einig in der Frage der Flüchtlingskrise. Vielleicht war der Papst sich mit keinem anderen Regierungschef in dieser Frage so einig wie mit Angela Merkel. Und das hat sie zusammengebunden.
Das zweite Thema ist Klimaschutz. Das ist ein Thema, das die beiden einfach berührt. Und ein deutscher Wissenschaftler hat an der Enzyklika mitgeschrieben. Auch das ist sozusagen etwas, was die beiden verbindet.
DOMRADIO.DE: Sind das auch Themen, die die Kanzlerin gerne bei ihrer letzten Audienz ansprechen möchte?
Resing: Davon gehe ich aus. Sicherlich sprechen sie auch über die schwierige Situation in Europa. Natürlich ist es auch nicht ganz unerheblich, dass eine der wichtigsten Regierungschefs in Europa, nämlich die deutsche Kanzlerin, aufhört. Das wird sicherlich Thema sein.
DOMRADIO.DE: Warum ist es Angela Merkel offenbar so wichtig gewesen, jetzt, kurz vor Ende ihrer Amtszeit Papst Franziskus noch einmal zu treffen, ihn zu besuchen, mit ihm zu reden?
Resing: Der konkrete Anlass ist das Friedensgebet. Vor zehn Jahren war sie in München beim Friedensgebet von Sant'Egidio dabei und seitdem hat Sant'Egidio, auch der Gründer Andrea Riccardi, eine enge Beziehung zu Angela Merkel. Auch das fand ich überraschend. Und jetzt zu diesem besonderen Anlass des Friedensgebets im Kolosseum mit Papst Franziskus ist das sicherlich, glaube ich, ein Punkt, wo Angela Merkel gesagt hat: Das ist ein guter Abschluss, da möchte ich dabei sein.
Das Interview führte Carsten Döpp.