"2083 - A European Declaration of Independence" heißt das unter dem Pseudonym Andrew Berwick verfasste Manuskript, dass er etwa eine Stunde vor dem Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel per e-Mail an diverse Empfänger verschickte, darunter auch Parlamentsabgeordnete der rechtspopulistischen finnischen Partei der "Wahren Finnen".
Schon auf der Titelseite des Machwerks weisen eine lateinische Widmung und ein rotes Malteserkreuz den Weg in die Gedankenwelt des Massenmörders: Breivik, dessen Weltbild von einem norwegischen Polizeisprecher vielleicht etwas vorschnell als "christlich-fundamentalistisch" skizziert wurde, sieht sich als Kreuzfahrer: Er skizziert die Gründung eines neuen Templerordens, der Norwegen und Europa vor der Islamisierung und dem kulturellen Marxismus retten will. Sein Manifest vermischt den Stoff von Fantasy-Romanen und die Handlungsabläufe von als Ego-Shootern bezeichneten Computerspielen mit rechtsextremem Gedankengut und Verschwörungstheorien.
Und auch die Kirchen kommen in Breiviks Manifest nicht zu kurz: "Sechs Dekaden der marxistischen Doktrin des Kulturrelativismus und des egalitären Denkens haben besonders die protestantischen Kirchen Europas infiziert", schreibt der norwegische Massenmörder. "Das hat zu einer Situation geführt, in der die Mehrheit der Protestanten, mich eingeschlossen, jeden Respekt vor der protestantischen Kirche verloren hat."
Breivik ruft zu einer Rückkehr nach Rom auf und sieht den Papst als obersten Kreuzfahrer und Verteidiger der Kirche. In seinem kruden Weltbild tritt er für eine romantisch-verklärte, starke katholische Kirche ein, wie sie etwa im Mittelalter in Europa anzutreffen war - und für einen säkularen Staat, in dem sich die Christen nicht in Fragen der Politik einmischen sollten. Dass es in diesem Denkmodell einen Widerspruch gibt, ist dem norwegischen Massenmörder offenkundig nicht bewusst.
Verwirrter Zeitgenosse
Doch ohnehin deutet vieles von dem, was über den Attentäter von Oslo und Utoya bislang bekannt ist, auf einen eher verwirrten Zeitgenossen hin, der zum Einzelgängertum neigte und viele seiner vermeintlichen Kenntnisse obskuren Internetforen entnahm. Breivik war Mitglied in einem Schützenverein, in einer Freimaurerloge und der rechtspopulistischen "Fremskridtsparti", das haben alle drei Organisationen mittlerweile offiziell bestätigt. Nach dem schwersten Attentat in der Geschichte Norwegens gaben Loge und Partei zu Protokoll, dass man sich zwar an Anders Behring Breivik irgendwie erinnern könne - aber nicht an irgendwelche Aktivitäten. Nur in rechtsradikalen Internetforen hinterließ der norwegische Attentäter öfter seine Spuren.
Das passt durchaus zum Tonfall, zum Aufbau und dem Inhalt seines Manifests: Das Machwerk des Massenmörders wirkt in erster Linie wie das Pamphlet eines Menschen, der sich mit Hilfe der modernen Medien sein ganz persönliches Weltbild zurechtgebogen hat - ein Weltbild, das selbst christliche Fundamentalisten aus den Reihen der umstrittenen Pius-Bruderschaft oder amerikanischer Evangelikaler nicht mit Anders Behring Breivik teilen würden. Weil es viel zu viele, teils viel zu gegensätzliche und als solche unvereinbare Sichtweisen miteinander mischt.