Europaabgeordnete Lochbihler über italienische Migrationspolitik

"Einen Kompromiss wird es nicht geben"

Die Gesellschaft Italiens ist gespalten. Die Regierung instrumentalisiert die Ängste vor Migration und Flüchtlingen in der Bevölkerung. Welche sozialen Folgen das haben kann, erklärt die Europa-Abgeordnete Barbara Lochbihler.

Barbara Lochbihler / © Tobias Hase (dpa)
Barbara Lochbihler / © Tobias Hase ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben mit italienischen Abgeordneten unter anderem auch über die Flüchtlingsproblematik gesprochen. Was haben sie Ihnen gesagt?

Barbara Lochbihler (Außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Grünen im Europaparlament): Sie verweisen zuerst darauf, dass es ein internationales Problem ist. Das stimmt auch. Da hat auch die Europäische Union Italien oft alleingelassen. Aber konkreter haben wir nach dem neuen Gesetz gefragt, das der Innenminister Salvini im Dezember erlassen hat. Das besagt, dass man humanitären Schutz und auch verschiedene Sozialleistungen nicht mehr gewährt. Das wird dazu führen, dass es weniger Integration gibt. Es treibt viele Flüchtlinge in die Illegalisierung.

Einzelne Institute sprechen auch von großen Zahlen von Obdachlosen. Das haben die Abgeordneten der Lega Nord, aber auch die der Fünf-Sterne-Bewegung geleugnet. Das ist natürlich der falsche Umgang. Denn die NGOs, die uns davon berichtet haben, sind äußerst kompetent. Sant'Egidio und Caritas und andere internationalen NGOs haben gesagt: Das wird eine Katastrophe. Dieses Gesetz besagt, dass Geflüchteten ein Sprachkurs nur noch für sechs Monate gewährt wird. Die Gesundheitsversorgung für Geflüchtete wird schwieriger werden.

Die NGOs sagen, dass das Klima in Italien – leider nicht nur in Italien, aber gerade in Italien – vergiftet ist. Die Organisationen, die sich für Flüchtlinge und Migranten einsetzen, stellt man in eine Schmuddelecke und behauptet, dass sie etwas Illegales machen würden. Es gibt auch eine Zunahme an Attacken gegen Flüchtlinge. Da haben die NGOs eine große Sorge. Die politische Ebene im Senat hat das geleugnet.

DOMRADIO.DE: Das klingt aber nicht nach Kompromissen, oder?

Lochbihler: Einen Kompromiss gibt es sicher nicht. Ich fand es bezeichnend, dass die Politik der Lega Nord in der Diskussion von den Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung, die eigentlich eine andere Politik hatten, uns gegenüber noch verteidigt wurde. Da sind sie sehr in der Defensive. Ich kann nicht ausschließen, dass mit der Politik der Lega Nord intendiert wird, dass es mehr Flüchtlinge auf den Straßen gibt, die noch schlechter versorgt sind und die sich dann nicht gut integrieren. Das steigert das Misstrauen gegenüber Migranten und Flüchtlingen. Dann kann die Lega Nord natürlich sagen: Ja, die sind das Hauptproblem, das wir haben. Gegen die gehen wir vor.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch mit Vertretern im Vatikan gesprochen. Unter anderem mit Erzbischof Paul Gallagher. Was hat der Ihnen gesagt?

Lochbihler: Wir haben ihm zugehört, als er uns erzählt hat, dass Integration eine der Prioritäten von Papst Franziskus ist. Mit Migranten und Flüchtlingen solle man in einem Dreischritt umgehen: Sie willkommen heißen, sie unterstützen, schützen und schließlich Integration vorantreiben. Er hat seinerseits auch geäußert – sehr diplomatisch, aber doch deutlich – dass er die italienischen Entscheidungen dahingehend, wie man hier zukünftig Integration verhindern will, nicht gutheißt.

Wir haben dann weiter diskutiert: Es gibt ja verschiedene europäische Mitgliedsstaaten, die auf Nationalismus setzen, weil sie christlich sind. Diese Staaten sagen, dass das zusammengehört und sind gegen die EU. Da hat er ganz deutlich gesagt, dass er findet, Nationalismus sei mit den Grundlagen des katholischen Glaubens nicht vereinbar. Das fand ich einen guten Ansatz.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind im Mai Europawahlen. Glauben Sie, dass die Thematik Flüchtlinge bzw. dieser aufkeimende Populismus und Nationalismus dort eine große Rolle spielen wird?

Lochbihler: Sicher wird es von den verschiedenen Parteien aufgegriffen, selbst wenn jetzt viel weniger Flüchtlinge ankommen als vor zwei, drei Jahren. Aber ich denke, dass die Parteien, die für eine offene Gesellschaft, Menschenrechte, Humanität, Demokratie sind und gegen autoritäre, ausgrenzende und von Hass getriebene Politik stehen, auch wieder zulegen werden.

Ich glaube, man muss eine klare Position beziehen. Es geht bei dieser Europawahl eben nicht nur um ein paar Reformen der EU. Es geht um einen polarisierten Wahlkampf. Entweder will man die EU stärken, will in einer demokratischen, offenen Gesellschaft leben, oder man möchte die EU zerschlagen und wieder in autoritären Gesellschaften leben. Da müssen sich die Wähler entscheiden.

Das Interview führte Martin Mölder. 


Migrant mit Helfern vom Roten Kreuz / © Orietta Scardino (dpa)
Migrant mit Helfern vom Roten Kreuz / © Orietta Scardino ( dpa )
Quelle:
DR