EKD-Vorsitzender gegen erhöhte Sicherheitsmaßnahmen

"Weihnachtsgottesdienste ohne Polizeischutz"

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin geht die Angst um. Müssen die Weihnachtsgottesdienste von der Polizei gesichert werden? Deutschlands oberster Protestant gibt sich gelassen - und lobt die meisten Reaktionen auf das Attentat.

Heinrich Bedford-Strohm / © Norbert Neetz (epd)
Heinrich Bedford-Strohm / © Norbert Neetz ( epd )

dpa: Nach dem Berliner Anschlag haben Sie im ZDF gesagt: "Wer jetzt versucht, aus einem solchen Ereignis politisches Kapital zu schlagen, besorgt am Ende das Geschäft der Terroristen." Meinten Sie damit auch die CSU?

Heinrich Bedford-Strohm (Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und bayerischer Landesbischof): Ich habe zunächst mal diejenigen gemeint, die bewusst verschärfen wollen und die Angst verstärken, anstatt Angst zu überwinden. Das will ich jetzt nicht bestimmten Leuten zuschreiben.

dpa: Hat denn die Politik überreagiert?

Bedford-Strohm: Ich habe den Eindruck, dass Deutschland sehr reif mit diesem Ereignis umgeht. Ich habe sehr viel Besonnenheit gespürt in den Äußerungen der maßgeblichen Politiker und sehr viel Innehalten. Beim Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist der Wille, nicht mehr Hass entstehen zu lassen, sondern den Hass zu überwinden, sehr eindrucksvoll deutlich geworden.

dpa: Zugleich verfestigt sich aber der Eindruck, dass das Wort der Kirchen zur Flüchtlingspolitik bei der CSU einfach kein Gehör findet.

Bedford-Strohm: Das kann man so generell nicht sagen. Es gibt da kein einheitliches Bild. Ich habe schon den Eindruck, dass Gespräche ihre Wirkung hatten. Dann gibt es aber in der Tat immer wieder einzelne Äußerungen, über die ich mich sehr wundere. Ich werde jetzt mit der CSU-Landesgruppe des Bundestags in Kloster Seeon Anfang des Jahres zusammen sein und ins Gespräch kommen. Ich freue mich darauf, weil es mir sehr wichtig ist, die Themen anzusprechen. Ich habe schon den Eindruck, dass solche Gespräche nicht ohne Wirkung bleiben.

dpa: Auch innerhalb der Kirche gibt es AfD-Anhänger. Wie gehen Sie mit ihnen um?

Bedford-Strohm: Natürlich gibt es in den Reihen der Kirchen auch Menschen, die AfD wählen. Aber mit denen müssen wir ins Gespräch kommen. Und wir dürfen nicht mit den drei Buchstaben "AfD" gleich ein endgültiges Urteil verbinden, Die AfD ist eine extrem unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe. Da sind harte Rechtsradikale dabei und da sind Menschen, die haben Sorgen, die wollen protestieren gegen etwas, worüber sie frustriert sind. Die kann man nicht alle auf eine Stufe stellen. Da ist das Gespräch tatsächlich die richtige Form.

dpa: Ist die AfD für Christen wählbar?

Bedford-Strohm: Bestimmte Aussagen, die sich gegen Menschen pauschal richten, sind aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Ausländerfeindlichkeit ist nicht vereinbar mit dem christlichen Glauben. Wenn sich bei einer Parteiversammlung ein Mensch für interreligiösen Dialog ausspricht und ausgebuht wird, macht mir das große Sorgen. Die Menschenrechte müssen der gemeinsame Bezugspunkt sein. Leute, die Menschen anderer Religionen ohne Respekt behandeln, mit denen habe ich auch ein Problem.

dpa: Werden die Weihnachtsgottesdienste angesichts der Terrorangst unter starkem Polizeischutz stattfinden?

Bedford-Strohm: Als Christen haben wir Quellen, von denen her wir die Angst überwinden können. Deswegen werden die Gottesdienste genau wie immer Orte der Kraft sein, an denen die Liebe Gottes unter den Menschen sichtbar und spürbar sein wird, Quellen der Zuversicht, nicht der Angst.

dpa: Aber Weihnachtsgottesdienste sind ja große Menschenansammlungen und daher ein mögliches Ziel. Wird die Polizei da nicht verstärkt patrouillieren?

Bedford-Strohm: Davon ist mir nichts bekannt. Ich glaube auch, dass man in Deutschland so viele Menschenansammlungen hat, dass es gar nicht möglich wäre, auf diesem Wege Sicherheit zu erzeugen, dass man überall Polizei postiert. Ich glaube, da sind die Sicherheitsbehörden klug genug, um einschätzen zu können, an welchen Stellen das sinnvoll und notwendig ist.

dpa: Sie haben vorgeschlagen, den Reformationstag und den Buß- und Bettag wieder als gesetzliche Feiertage einzuführen. Ihr Vorschlag hat keine Chance, oder? Welche Reaktionen haben Sie aus der Politik bekommen?

Bedford-Strohm: Die Reaktionen waren überraschend positiv, muss ich sagen. Natürlich ist mit klar, dass es unrealistisch ist, zwei neue Feiertage zu etablieren. Ich habe aber bewusst sowohl den Buß- und Bettag als auch den Reformationstag ins Gespräch gebracht, weil ich glaube, dass beide sehr gute Kandidaten wären.

dpa: Warum?

Bedford-Strohm: Der Grundgedanke ist der, dass wir in den letzten Jahrzehnten immer der Ökonomie den Vorrang gegeben haben vor der Gemeinschaft, vor den Beziehungen. Ich glaube, dass es Zeit wird, dass wir, statt den materiellen Wohlstandszuwachs in Zentrum zu stellen, jetzt eher denken müssen an den Zuwachs an Beziehungswohlstand. Verbunden mit einer Diskussion um soziale Gerechtigkeit, denn es gibt Menschen in unserem, Land, die dringend auch materiellen Zuwachs brauchen.

dpa: Aber selbst an Weihnachten geht ja nur noch eine Minderheit der Menschen in Deutschland in einen Gottesdienst. Am Buß- und Bettag würden die meisten Menschen vermutlich einfach länger schlafen.

Bedford-Strohm: Also am Buß- und Bettag haben wir die Erfahrung gemacht, dass für die Menschen - vielleicht im Gefolge der Abschaffung dieses Tages - der Inhalt wieder an Kraft gewonnen hat und sie durchaus an vielen Orten in die Gottesdienste kommen. Über die Zahl der Gottesdienstbesucher hinaus hat ein solcher Tag auch eine wichtige öffentliche Bedeutung. Der Buß- und Bettag gibt einem Land die Gelegenheit, mal innezuhalten und über sich selbst nachzudenken. Diese Selbstkritik, diese Frage nach dem Kurs eines Landes ist auch für Menschen wichtig, die nicht in die Kirche gehen.

dpa: Gibt es bei Ihnen Momente, in denen Sie zweifeln, ob es Gott überhaupt gibt?

Bedford-Strohm: Ich bin mir bewusst, dass solche Zeiten kommen können, aber ich muss schon sagen, dass ich in einem großen Gefühl des Gesegnetseins lebe. Dass auch in den Zeiten, in denen es schwerer ist, wo es Gegenwind gibt, der Glaube mein Halt ist. Dass mein Wert nicht an meinen Erfolgen hängt, sondern dass ich jenseits meiner Leistungen als Mensch unendlich angenommen und geliebt bin. Diese wunderbare Basis für das Leben ist für mich noch nicht ins Wanken geraten. Aber ich will ausdrücklich sagen, dass Menschen, denen es so geht, dies oft auch aus tiefen Glauben so erleben, weil sie Gott ernst nehmen und ihm dann auch diese Klage vorbringen. Insofern ist für mich der Zweifel ein Teil des Glaubens.

Das Interview führte Bernward Loheide.


Quelle:
dpa