Kein Blitzlichtgewitter, keine Fernsehreporter und auch keine Warteschlangen mehr am Einlasstor zum Kölner Messezentrum. Am Tag fünf der bundesweit angelaufenen Impfaktion gegen das tückische Corona-Virus hat sich der anfängliche Hype merklich gelegt. Es ist Ruhe eingekehrt, und nun bewähren sich eher unaufgeregt die sorgfältig organisierten Routineabläufe, die in den ersten Tagen bereits eingeübt werden konnten und von einem 15-köpfigen Bundeswehrteam logistisch unterstützt werden. Trotzdem laden die vielen Taxis auf dem Zufahrtsgelände im Minutentakt Senioren aus – oft in deutlich jüngerer Begleitung und die meisten von ihnen mit Gehhilfen, Rollator oder Rollstuhl. Immerhin kommen im Moment über 800 Menschen täglich, die zu den ersten Glücklichen gehören und einen Termin bei dem nicht einfachen Anmeldeverfahren ergattern konnten. Die Freude, dass die in Aussicht gestellte Impfung in Reichweite ist und das lange Warten nun endlich ein Ende hat, ist ihnen deutlich anzusehen. Überhaupt bietet sich das zutiefst anrührende Bild eines generationenübergreifenden Füreinanders.
Zunächst geht es zu einem der 20 Registrierungscounter, wo die Terminbescheinigung mit der digitalen Meldung abgeglichen wird und jemand überprüft, ob der Impfkandidat fieberfrei ist und auch die vorgeschriebene FFP2-Maske trägt. Außerdem muss jeder, der geimpft werden will, auch seine Einwilligungspapiere dabei haben. Braucht er zusätzlich noch einmal Aufklärung zu dem Impfvorgang als solchem, über den Impfstoff von Biontech/Pfizer, der den über 80-Jährigen verabreicht wird, oder möglichen Impfreaktionen, wird ihm ein Arztgespräch angeboten. Auch ein eigens abgegrenzter Raum, wo non stop ein Video mit den wichtigsten Informationen läuft, soll im Bedarfsfall letzte Vorbehalte und Ängste nehmen. Wer aber Pro und Contra längst im Vorfeld gegeneinander abgewogen hat, kann gleich das ausgeklügelte Einbahnstraßensystem passieren, das ihn ins Obergeschoss der weitläufigen Messeräume zu den 40 Impfkabinen führt. Auch Hinweise zu einer "fast lane", die vom Sanitätsdienst überwacht wird, gibt es. Auf der "Überholspur" soll es besonders schnell gehen.
Ab März werden Tausende Impfstoffdosen täglich verimpft
Dass sich längst alles eingespielt hat, entlastet Daniel Heu, den organisatorischen Leiter des Kölner Impfzentrums, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Außerdem ist er in ständigem Kontakt mit der Polizei, die einen eigenen Streifendienst zum Objektschutz eingerichtet hat und das Gelände rund um die Uhr bewacht. Schließlich müsse man sich gegen mögliche Störungen der Querdenkerszene wappnen, meint er. Ein Impfzentrum werde wie ein Hochsicherheitstrakt abgeriegelt, sagt Kollege Sebastian Brandt. Er ist wie Daniel Heu Mitarbeiter bei der Feuerwehr Köln. Beide sind im Wechsel für die reibungslosen Abläufe auf dem Kongressgelände verantwortlich. Für sie ist daher auch ganz entscheidend, dass die Senioren sich strikt an die Terminvergabe halten und nicht – wie an den ersten Tagen – schon Stunden vorher eintreffen und dann den Wartebereich verstopfen.
Bei jedem der einzelnen Schritte müsse unbedingt der Corona-Knigge eingehalten werden, betont Heu. "Wir brauchen diese genaue Taktung, damit ein kontinuierlicher Fluss gewährleistet bleibt und sich keine Menschentrauben bilden. Erst recht, wenn demnächst mehrere tausend Menschen an einem Tag geimpft werden sollen." Damit rechnet er ab März. Dann soll mehr Impfstoff zur Verfügung stehen und das Impfzentrum zwölf Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche geöffnet sein.
Monatelange häusliche Quarantäne
Katharina Hupp schätzt sich überglücklich, dass sie die erste Impfung nun hinter sich hat. Ein Jahr lang ist die 87-Jährige aus Porz-Urbach nicht mehr vor die Tür gekommen. Zunächst sei sie gar nicht entschieden gewesen, sich impfen zu lassen, erzählt die alte Dame im Rollstuhl, die von ihrer Großnichte Claudia Ley begleitet wird und ihren ersten Köln-Ausflug nach so langer Zeit der häuslichen Quarantäne in vollen Zügen genießt. Aber nun könne sie demnächst ja doch angstfreier leben. Höchstens mal eine Runde ums Haus gedreht hätten sie in den letzten Monaten, berichtet Ley, aber sonst habe in den gefühlt endlosen Corona-Monaten außer dem Pflegedienst niemand Zutritt zur Wohnung gehabt. "Aus großer Sorge vor Ansteckung mit dem Virus." Schließlich leidet der 90-jährige Ehemann von Katharina Hupp an einer COPD. Mit dieser schweren Lungenkrankheit noch zusätzlich an Corona zu erkranken, bedeute für ihn Lebensgefahr, so Ley. Nun aber werde die Impfung hoffentlich beide schützen.
"Mir gibt das Sicherheit", freut sich auch Gerwolf Quaas aus Köln-Stammheim über den schnellen Impftermin, den ihm sein Sohn online organisiert hat. "Für mich war von Anfang an klar, dass ich das mache", betont der 80-Jährige. Seine Frau Brunhilde allerdings gehört nicht zur Gruppe 1. Von daher sei sie selbst auch noch lange nicht dran, sagt sie. Doch das beunruhigt das Paar nicht weiter. "Wir halten uns an alle Regeln, schränken unsere Kontakte ein und finden, dass es uns im Vergleich zu Spanien, Franreich und England noch ausgesprochen gut geht." Natürlich fehlten die Theater- und Konzertbesuche, eben das normale Leben. "Aber nun brauchen wir nur noch ein bisschen Geduld und hoffen, dass die Mutationen des Virus nicht zu einem erneuten Anstieg der Inzidenzzahlen führen", erklären die beiden relativ entspannt.
Stephan Dobelmann: Ein richtiger Glücksmoment
Stephan Dobelmann hilft seinem 83-jährigen Freund Holger Rabuske, der sonst ganz auf sich allein gestellt wäre und ohne Unterstützung den Weg ins Impfzentrum kaum gefunden hätte. Die beiden waren mal Arbeitskollegen, auch wenn sie ein erheblicher Altersunterschied trennt, und jetzt ist der jüngere ganz selbstverständlich für den älteren da und steht ihm bei der Alltagsbewältigung zur Seite. Am ersten Anmeldungstag gleich durchgekommen zu sein – dieses Glück kann der betagte Rentner immer noch nicht fassen. "Zum ersten Mal im Leben mache ich die Erfahrung, dass alt sein ein Vorteil ist", strahlt er. Sogar ein Posting vom offiziellen Impfeintrag hat sein Begleiter schon an die ganze Familie zuhause geschickt. "Dass es nun endlich etwas gegen Corona gibt, macht alles leichter und ermöglicht vielleicht sogar eine Rückkehr zu alten Gewohnheiten", findet dieser und ergänzt: "Allein schon die Vorstellung ist sehr bewegend für mich: ein richtiger Glücksmoment."
Als Großmutter ist Theresia Funke in Corona-Zeiten besonders gefragt. "Ich betreue meine beiden Enkelinnen beim Homeschooling und entlaste damit die Eltern. Für mich ist die Impfung wichtig, um mich bei der Betreuung der Kinder sicherer zu fühlen", begründet die 86-Jährige ihre Entscheidung. Da einzuspringen, wo gerade Hilfe gefragt sei, erachtet sie als "das Sinnvollste, was ich gerade machen kann". Nun hofft sie, den Impfstoff auch gut zu vertragen. Doch die Inanspruchnahme einer ärztlichen Beratung kurz vor dem entscheidenden Pieks habe sie nochmals bestärkt. "Ich fühle mich ja grundsätzlich gesund und habe überhaupt eine positive Grundeinstellung", bekräftigt die Seniorin. "Ich bin Kriegskind und habe schon ganz anderes erlebt. Da lasse ich mich ohnehin so schnell nicht unterkriegen."
Dr. Heiko Kilter: Jeder muss aktiv einen Beitrag leisten
Dr. Heiko Kilter ist einer von den zwölf Impfärzten an diesem Tag, die sich freiwillig zum Dienst im Kölner Messezentrum gemeldet haben. Der niedergelassene Internist aus Düren bezeichnet sich selbst als "Überzeugungstäter" und ist daher dem Aufruf von NRW-Gesundheitsminister Laumann ohne Zögern gefolgt. Sogar seine Praxis hat er dafür vorübergehend geschlossen. Momentan sitzt er in einer der eigens eingerichteten Beratungskabinen, stellt allerdings fest, dass das Angebot zusätzlicher Aufklärung nicht unbedingt für den großen Run sorgt. Doch wer im letzten Moment noch einmal das Gespräch sucht, will in Bezug auf die Verträglichkeit des Impfstoffes auf Nummer sicher gehen oder bei Vorerkrankung etwas über seine mögliche Wechselwirkung mit anderen Medikamenten in Erfahrung bringen.
"Ich bin davon überzeugt, dass jeder aktiv einen Beitrag dazu leisten muss, dieses Infektionsgeschehen einzudämmen", begründet Kilter seine Teilnahme an der Impfaktion. "Wer kann, sollte mit anpacken, um diese Situation aufzulösen. Als Ärzte stehen wir da an vorderster Front." Dass dieser Job nebenbei auch gut bezahlt werde, spiele eher eine untergeordnete Rolle. "Darum geht es hier niemandem", so der Internist.
Donata Zerwas: Beeindruckend, wie glücklich die Menschen sind
"Viele Kollegen sind sich bewusst, dass es etwas ganz Besonderes ist, hier mitzumachen", beobachtet Donata Zerwas, Allgemeinmedizinerin aus Bergheim, und rechnet sich selbst mit dazu. Dafür nehme sie auch gerne die Anstrengung in Kauf, nach der Praxis noch weitere sechs Stunden Dienst in Köln dranzuhängen. Auch sie hatte sich umgehend beworben, als über die Kassenärztliche Vereinigung öffentlich wurde, dass dringend Impfärzte auf Freiwilligenbasis gesucht werden. Für Zerwas gehören Corona-Abstriche längst zum Alltag und auch die tägliche Versorgung von Patienten in Altenheimen, die nie ohne Infektionsrisiko ist, so dass sich die 61-Jährige mit dem Thema Covid-19 ohnehin seit Monaten auseinandersetzt.
"In dieser historischen Situation wollte ich mit dabei sein und meine Unterstützung anbieten. Schließlich ist die Impfung ein Hoffnungsschimmer und ein ganz entscheidender Weg, aus dieser Pandemie wieder rauszukommen und ein Stück Freiheit zurückzugewinnen." Für alte und betagte Menschen sei es mehr noch als das: der einzige Ausweg aus ihrer oft bedrückenden Isolation und anhaltenden Einsamkeit. "Mir begegnet unglaublich viel Dankbarkeit und eine große Sehnsucht, das alte Leben zurückhaben zu wollen", sagt die Ärztin. "Am beeindruckendsten aber ist, wie glücklich die Menschen sind, dass nun endlich ein Wirkstoff gegen das Virus gefunden ist und sie zu denen gehören, die als erste davon profitieren." Überall herrsche eine "freudige Aufregung" – bei den Senioren wie beim medizinischen Personal. Und immer wieder höre sie den Satz: Jetzt kann ich endlich bald meine Enkel wiedersehen.