DOMRADIO.DE: Wie sehr nervt Sie, dass wir im Jahr 2021 immer noch darüber diskutieren müssen, ob ein Posten mit einer Frau oder einem Mann besetzt wird?
Dr. Maria Flachsbarth (Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes): Es mutet tatsächlich manchmal etwas skurril an, dass wir diese Diskussionen immer wieder und wieder führen. Und vor allen Dingen ist es aus meiner Sicht nicht akzeptabel, dass 2021 in vielen Führungspositionen immer noch Männer sitzen, obwohl wir selbstverständlich hoch qualifizierte und engagierte Frauen zur Verfügung haben, die diese Aufgaben genauso gut leisten könnten.
DOMRADIO.DE: Bas ist eher unbekannt. Jetzt werden viele Kritiker sagen: Jetzt bekommt eine Frau den Posten nur, weil sie eine Frau ist, nicht weil sie sich parteipolitisch profiliert hat. Ist das nicht eher hinderlich für Forderungen nach Gleichberechtigung?
Flachsbarth: Also, ich finde, dass so eine Aussage - freundlich ausgedrückt - eine Frechheit ist. Man kann nicht auf der einen Seite sagen, es gibt gar keine qualifizierten Frauen, sie ist gar nicht so bekannt, auf der anderen Seite aber keine Möglichkeit geben, dass Frauen sich letztendlich profilieren und letztendlich auch in Führungspositionen zeigen können, was sie können.
Ich kenne die Kollegin Bas nicht wirklich persönlich. Das liegt aber vor allen Dingen daran, dass sie im Bereich der Gesundheitspolitik und der Bildungspolitik unterwegs ist und ich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Von daher gibt es nicht so viele fachliche Begegnungspunkte.
Ich habe mich jetzt aber natürlich ein bisschen schlau gemacht, mich in ihrem Lebenslauf umgesehen und sie ist eine ehrliche Arbeiterin, eine gute Abgeordnete, hat in der Fraktion ihre entsprechenden Aufgaben übernommen und ich traue ihr unbedingt zu, dass sie auch eine gute Präsidentin des Deutschen Bundestags wird, also tatsächlich für alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags zu sprechen.
DOMRADIO.DE: 255 der 735 Abgeordneten des neu gewählten Parlaments sind weiblich. Das sind noch nicht mal 35 Prozent. Sie sitzen selbst im Bundestag. Warum eigentlich sind da so wenige Frauen? Können die nicht oder wollen die nicht?
Flachsbarth: Zuerst mal will ich sagen, dass ich tatsächlich noch ein paar Tage im Deutschen Bundestag sitze. Ich habe mich nicht wieder um ein erneutes Mandat beworben. Also scheide ich mit der Konstituierung des Bundestags am 26. Oktober nach 19 Jahren aus demselben aus.
Und da will ich vielleicht sagen: Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist allgemein eine große Herausforderung, aber für Bundestagsabgeordnete vielleicht noch mal darüber hinaus noch mehr. Sie pendeln ständig zwischen dem Wahlkreis, häufig auch dem Wohnort Ihrer Familie und Berlin.
Die Arbeitszeiten im Deutschen Bundestag, aber auch darüber hinaus im Wahlkreis sind von keinem Arbeitszeitgesetz erfasst. Eine 70 Stunden-Woche oder auch eine 80 Stunden-Woche ist durchaus nicht ungewöhnlich. Der Wahlkreis hat den Anspruch, Sie natürlich dann auch zu sehen.
Das sind Ehrenamtliche, die Politik machen in den jeweiligen Parteien. Und da müssen Sie dann vor Ort sein und müssen erklären, was denn eigentlich da gerade in Berlin passiert und was möglicherweise ganz anders ist als das, was sie im Wahlkampf versprochen haben.
Also vielfältige Ansprüche und da wirklich Familie und Beruf zu vereinbaren, das ist schon eine große Herausforderung. Ich glaube, das ist der eine Teil der Wahrheit, warum sich Frauen möglicherweise nicht so häufig in dieses Hamsterrad begeben, wie das möglicherweise Männer machen, auch weil die gesellschaftlichen Ansprüche an das Leben einer Frau oder die Vorstellung vom Leben einer Frau und Mutter immer noch ganz anders sind als die Vorstellungen vom Leben und beruflichem Erfolg eines Mannes.
Und auf der anderen Seite sehe ich junge Frauen. Jedenfalls ist das in meiner Partei, der CDU, so. Die sagen mir: Wir sind gut ausgebildet, wir stehen unsere Frau in unseren Berufen. Wir haben da auch in unserer beruflichen Karriere überhaupt gar keine Probleme. Warum sollen wir uns eigentlich hinten anstellen in einer Partei? Da haben wir gar keine Lust drauf. Außerdem ist ohnehin alles gut.
Und sie merken dann häufig erst zu spät, nämlich dann, wenn es um die Familiengründung geht, dass es da eben doch Unterschiede gibt und dass wir eben doch nach wie vor als Frauen kämpfen müssen für unsere Rechte und für eine gleichberechtigte Position in unserer Gesellschaft und auch in der Politik.
DOMRADIO.DE: Was raten Sie denn Frauen, die sich heute in der Politik engagieren wollen?
Flachsbarth: Engagiert euch, engagiert euch! Es wird nicht anders gehen. Ich habe das Glück gehabt, dass mein Mann mir wirklich den Rücken freigehalten hat. Das sagt man häufig nur von Frauen, die ihren Männern den Rücken freihalten. Aber es ist bei uns genau so gewesen.
Unsere Jungs waren sieben und acht, als ich im Deutschen Bundestag mein erstes Mandat bekommen habe. Und das wäre überhaupt nicht gegangen, wenn mein Mann nicht wirklich zu mir gestanden hätte und letztendlich auch die Kinder großgezogen hätte. Ich habe Fragen bekommen im öffentlichen Raum, insbesondere von meinen Parteifreundinnen: Was machen Sie eigentlich mit Ihren Kindern? Was ist Ihr Mann eigentlich für einer? Wie kann denn das angehen?
Also: Wir haben solchen Herausforderungen noch mal besonders zu bestehen und auch solche Herausforderungen auszuhalten. Aber ich glaube, tatsächlich ist es fundamental wichtig, dass sich Frauen in allen Lebensphasen und aus allen Lebensumständen auch tatsächlich engagieren.
Denn sonst wird sich nichts ändern in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Denn da werden Role Models gebraucht. Da werden Frauen gebraucht, die zeigen, dass das geht, dass man ein solch hohes politisches Amt, ein Bundestagsmandat, ein Landtagsmandat sehr wohl mit einem Familienleben vereinbaren kann.
Und dann werden natürlich Frauen gebraucht in den Gesetzesberatungen, in den Parlamenten, damit sich an der Lebenswirklichkeit von Frauen und auch von Männern, die sich besonders in den Familien und in der Care-Arbeit engagieren, etwas ändern kann.
DOMRADIO.DE: Neben ihrer Arbeit im Bundestag sind Sie auch Präsidentin des KDFB, des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Da setzen Sie sich auch für die Gleichstellung von Frauen ein, und zwar in der Kirche. Wo müssen Sie dickere Bretter bohren, in der Kirche oder in der Politik?
Flachsbarth: Trotz der schlechten Zahlen bezüglich der Frauen in den Parlamenten sind wir da im öffentlichen Bereich, im gesellschaftlichen, politischen Bereich schon ein Stück weit weiter nach vorn gelangt in den letzten hundert Jahren, solange es das Frauenwahlrecht gibt.
In der Kirche gehen wir diesen Weg auch, und zwar mit Beharrlichkeit und Überzeugungskraft. Ich sehe jetzt im Rahmen des Synodalen Wegs, dessen Mitglied in der Vollversammlung ich sein darf, schon Bewegungen. Ich sehe, nicht zuletzt nach den furchtbaren Missbräuchen in der katholischen Kirche, die auch strukturelle Ursachen haben, eine Offenheit bei vielen Bischöfen - nicht bei allen -, darüber zu sprechen und nachzudenken: Wie kann Kirche zukunftsfähig sein? Und das bedeutet: Wie kann Kirche glaubwürdiger sein? Wie kann Kirche diese Botschaft Jesu Christi besser in die heutige Zeit tragen, zu den heutigen Menschen tragen?
Und da sehe ich das Verständnis dafür, dass dafür Frauen unbedingt notwendig sind. Und wenn ich das noch sagen darf: Der erste Mensch, dem sich der auferstandene Jesus Christus geoffenbart hat als Auferstandener, war eine Frau. Und diese Frau, nämlich Maria von Magdala, hat vom Herrn den Auftrag bekommen: Geh hin und sage den Brüdern. Nicht etwa: Halt die Klappe und halte dich zurück und bleib mal ein bisschen im Hintergrund.
Aus diesem Auftrag nehmen wir auch als Katholischer Deutscher Frauenbund den Auftrag, zu kämpfen für einen geschwisterlichen Umgang von Frauen und Männern auch in der katholischen Kirche. Auch wenn es noch lange dauert und auch wenn es viel Beharrlichkeit erfordert.
Das Interview führte Katharina Geiger.