Als der argentinische Präsident Alberto Fernandez vor gut zwei Jahren noch mitten im Wahlkampf steckte, um seinen Sieg über den rechtsgerichteten Amtsinhaber Mauricio Macri vorzubereiten, konnte er sich vor allem auf eines verlassen: die Unterstützung der katholischen Kirche im Heimatland von Papst Franziskus. Vor allem die in den einkommensschwachen Vierteln von Buenos Aires populären Armenpriester trommelten für den Linkskandidaten und gegen den Konservativen. Sogar zu einem gemeinsamen Wahlkampftermin mit den "Curas Villeros" kam es. Nach der Wahl schmiedete der Präsident hoffnungsvoll einen Pakt gegen den Hunger - auch mit kirchlichen Organisationen.
Wachsende Enttäuschung
Doch wenige Wochen vor den Parlamentswahlen, die als ein Halbzeittest für die Präsidentschaft gelten, wächst die Enttäuschung in den Reihen der Kirche. Während die linksgerichteten Armenpriester weiter an Fernandez festhalten, geht die Kirchenführung zunehmend auf Distanz. Die Bischöfe werfen dem Präsidenten in der Corona-Pandemie mangelnde Führungsstärke vor, zudem steckt das Land jetzt noch tiefer in der Armutsfalle. Genau diese Armut zu bekämpfen, war aber Fernandez größtes Versprechen.
Der erste Riss kam nicht unerwartet. Fernandez setzte sich zu Beginn seiner Amtszeit gegen die Kirche durch und trieb die Liberalisierung der Abtreibungsregelung voran. Auch das war ein Versprechen an seine Wahlbasis, insbesondere an die engagierte Frauenbewegung im Land, die dafür lange kämpfte. Doch insgeheim hatten die Bischöfe offenbar gehofft, dass Fernandez mit diesem Schritt noch etwas wartet.
Schwer von der Corona-Krise getroffen
Knapp zwei Jahre nach seiner Wahl steht das Land nun gesellschaftlich am Abgrund. Fernandez managte die Corona-Krise ähnlich schlecht wie das Nachbarland Brasilien und dessen international scharf kritisierter Präsident Jair Messias Bolsonaro. Gerade mal zwei Plätze hinter Brasilien liegt Argentinien in der Liste der Länder mit den weltweit meisten Covid-Todesfällen: Mehr als 115.000 Tote hat das Land zu beklagen. Doch noch bitterer ist die katastrophale wirtschaftliche Entwicklung mit einem weiteren Anstieg der Armutsrate. Dass sich zwischendurch auch noch Funktionäre der Regierung vorab selbst impften, war für das stets Solidarität predigende Fernandez-Lager eine handfeste Blamage.
Argentiniens Bischöfen blieb das alles nicht verborgen. Sie schickten dem Präsidenten jüngst einen Brief, in dem sie ihre Besorgnis über die Zukunft des Landes ausdrückten. Vor allem kritisierten sie, dass eine öffentliche Debatte kaum noch stattfinde. Stattdessen würden beide Lager die Polarisierung auf die Spitze treiben.
Kirche fordert Stärkung der Familien
In einer Videobotschaft beklagte der Vorsitzende der Argentinischen Bischofskonferenz, Bischof Oscar Ojea Quintana von San Isidro, es werde gar nicht mehr darüber diskutiert, welchen Weg das Land gehe oder gehen müsse, stattdessen werde über Macht - Medienmacht, Wirtschaftsmacht und politische Macht - gestritten. Ojea hatte erst jüngst angesichts der sich zuspitzenden sozialen Situation davor gewarnt, dass "die Lage außer Kontrolle geraten" könne. "Wir sind am Limit", sagte er. "Wenn die Aufmerksamkeit für das Ausmaß der vorhandenen Not verloren geht, können wir in Situationen gelangen, die außer Kontrolle geraten könnten."
Vor wenigen Tagen gab die Kirche dem Präsidenten dann einen Ratschlag, wie er die Gesellschaft aus der schwierigen Lage herausführen könne. Angesichts der wachsenden Armut und der gesellschaftlichen Krise in Folge der Corona-Pandemie müssten Familien gestärkt werden. Wenn alles in Bewegung sei, blieben die Familien das solide Fundament. In der Familie wachse und bestehe die Kraft der Nation, sage der Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Mario Aurelio Poli, während der Feierlichkeiten am Rande der traditionsreichen Wallfahrt Lujan.
Wie dramatisch die Lage im Land ist, machte auch eine jüngst veröffentlichte Studie der Katholischen Universität von Buenos Aires deutlich. Derzeit seien zwei von zehn Haushalten von einer unsicheren Versorgungslage betroffen und könnten die eigene Nahrungsmittelversorgung nicht mehr sicherstellen. Insgesamt litten landesweit 22 Prozent der urbanen Haushalte unter Nahrungsmittelunsicherheit.