DOMRADIO.DE: Wenn man sich "Knocking on Heaven's Door" anhört, da kann man schnell auf die religiöse Botschaft schließen. Aber es gibt auch andere Textstellen, die darauf hinweisen, oder?
Uwe Birnstein (Theologe und Publizist): Ja, seit meiner Jugend begleitet mich Bob Dylan auch durch mein spirituelles Leben. An den ersten Song erinnere ich mich noch, den habe ich auch auf Gitarre nachgespielt: "With God on our side - mit Gott auf unserer Seite". Da fragt Dylan: "Wie kommt das eigentlich, dass in allen Kriegen dieser Welt die Stärkeren, die Sieger, die oft auch die Brutalsten waren, immer gesagt haben "aber Gott ist doch auf unserer Seite"."
Und dann hinterfragt er das. "Du musst dich entscheiden, glaubst du das auch?" Er geht sogar in die Bibel und fragt: "Was meinst du denn? War Judas eigentlich auf der Seite Gottes, oder nicht?" Er stellt also sehr tiefsinnige Fragen, in denen er sich der Religion und seinem Glauben nähert, aber nie belehrend-missionarisch, sondern er lädt die Menschen ein, mit ihm darüber nachzudenken.
DOMRADIO.DE: Bob Dylan ist in einer jüdischen Familie aufgewachsen. Für ihn hieß das, dass die Religion stets eine treue Begleiterin war. Laut Ihrem Buch schildert er in seinen Texten sogar Begegnungen mit Engeln, mit Jesus und auch mit Gott. Wo passiert das für Dylan?
Birnstein: Ich würde sagen, das passiert auf zwei Arten: Er hatte eine sogenannte Gospel-Phase, in der er als wiedergeborener Christ den Glauben entdeckt hat. Da war er in so einer Art "Sauna des Glaubens", hat viele Geschichten erlebt und viel geschrieben. Da sagt er: "Du musst dich entscheiden, dienst du dem Herrn oder dienst du den Teufel?" Davon kommt er dann aber los. Er entwickelt dann eine Art gereiften Glauben, wo er Gott in der Natur begegnet, aber auch immer wieder in der Bibel. Das verbindet er wunderschön in einem Lied, das heißt "Every grain of sand - jedes Körnchen Sand". Da blickt er auf sein Leben zurück und entdeckt, dass Gott ihn auf weiten Strecken begleitet hat und dass er Gott in jedem seiner Haare und jedem Körnchen Sand entdeckt. Das ist schon fast natur-mystisch.
DOMRADIO.DE: Heute ist Pfingstmontag, da gibt es auch eine besondere Verbindung zu Dylan. Eine Geschichte mit dem Papst sogar, oder?
Birnstein: Ja, genau. Dylan hat es mit einem Song, den er in zehn Minuten in einem New Yorker Café geschrieben hat, mit "Blowing in the Wind", geschafft, dass Papst Johannes Paul II. 1997 nicht über eine Bibelstelle, sondern über eine Zeile aus "Blowing in the Wind" predigt. Da heißt es: "Du fragst viel: Wann werden die Kriege enden? Wann werden die Kanonenkugeln nicht mehr fliegen?" Dylan fragt dann im Refrain: "Wo ist die Antwort?" Und antwortet: "Die weht irgendwie im Wind." Und der Papst predigt dann vor 300.000 Jugendlichen: "Ich sage euch, dieser Wind ist nicht der Wind, der die Luft durchwirbelt, sondern das ist der Heilige Geist. Also wenn ihr Antworten wollt, dann fragt den Heiligen Geist. Dann bekommt ihr sie."
DOMRADIO.DE: Können wir auch heute noch etwas aus Dylans Musik für unser Glaubensbild mitnehmen?
Birnstein: Auf jeden Fall. Dylan nutzt die Schatzkiste der biblischen Tradition immer wieder, um sich selbst zu verstehen, um die Welt zu verstehen und sich um sich ehrlich zu fragen, was soll das alles mit dem Leben und was passiert dann, wenn ich an die Himmelspforte klopfe? Wofür muss ich mich erklären? Was würde ich in der Rückschau anders machen? Und das alles auf eine sehr, sehr intelligente und tiefsinnige Weise, die nicht übergriffig ist.
DOMRADIO.DE: Sie sind gerade in Hamburg und das hat auch passenderweise etwas mit Bob Dylan zu tun. Was genau machen Sie da?
Birnstein: Ja, ich freue mich schon auf heute Abend. Da gibt es in der Christuskirche in Altona einen Livestream "Forever Young - Bob Dylans Geburtstagsabend" mit viel Musik. Ich mache da auch Live-Musik mit meiner Frau im Duo. Das wird im Livestream übertragen. Da können alle mitfeiern.
Das Gespräch führte Michelle Olion.