Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Maria Anna, wir leben in stürmischen Zeiten. In der Ukraine tobt ein Krieg, die Corona-Pandemie will nicht enden, und der Klimawandel bedroht das Überleben der gesamten Menschheit. Was kann der Eremitin, was kann uns Mut und Zuversicht geben?
Maria Anna Leenen (Eremitin aus Osnabrück): Gott. Er ist größer als all unsere Krisen, als all unsere Ängste - und auch als all unsere Verbrechen und Fehler, die wir begehen. Und ich glaube, dass er auch in scheinbar ausweglosen Situationen einen Weg finden wird, dass wir als Menschheit nicht komplett vor die Hunde gehen.
KNA: Gerade hat der Frühling begonnen, die Natur blüht im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf. Zugleich bereiten sich Christen in der Fastenzeit auf das Leiden und die Auferstehung Jesu vor. Auf der einen Seite das pralle Leben, auf der anderen Seite das Dunkel des Todes - wie bringen Sie das zusammen?
Leenen: Die Natur steht ja nicht permanent in Blüte und voller Pracht, sie hat auch Zeiten, wo sie sich zurückzieht. Das sieht man bei uns im Winter. Da blüht im Garten kaum etwas - außer vielleicht ein paar Christrosen. Das ist ein notwendiger Rückzug, der uns Menschen zu der Frage führen kann: Was für Vorräte habe ich - im Garten, auf dem Acker, aber auch spirituell? Und so sehe ich auch die Fastenzeit.
KNA: Was bedeutet Ihnen persönlich die Natur?
Leenen: Ich kann die Schöpfung nur begreifen als ein unglaubliches, riesiges Geschenk, in dem wir leben. Wir können uns im Übrigen aus der Natur nicht herausziehen - denn das sind ja auch wir selbst. Zugleich ist die Schöpfung niemals unangefochten. Das erleben wir beispielsweise mit dem Klimawandel. Das heißt: Ich muss mich immer wieder neu besinnen und umkehren, die eigene Lebensart ändern.
KNA: Genau davor schrecken aber viele Menschen zurück, weil sie Angst davor haben, sich einschränken zu müssen, um die Umwelt zu schützen.
Leenen: Einschränkung muss nicht negativ sein. Sie führt, recht verstanden, zu einer Intensivierung des Gespürs. So wird nicht alles schlechter und schwieriger. Es wird anders - aber genauso schön und genauso wunderbar. Meine Erfahrung!
KNA: Viele Menschen haben das Gespür für ihre Umwelt, für die Natur, die sie umgibt, verloren. Haben Sie eine Idee, wie man dieses Gespür wiedererlangen kann?
Leenen: Erst einmal würde ich dazu raten, sich zu sensibilisieren. Dazu sind Ruhe und Stille notwendig. Und möglichst wenig Ablenkung. Dann setzen Sie sich vor ein Blatt, eine Blüte oder einen Baum und schauen sich das eine Viertelstunde einfach einmal an - ganz ohne naturwissenschaftliche Erwägungen oder Ambitionen.
KNA: Da werden die ersten abschalten und sagen: Da sehe ich doch gar nichts.
Leenen: Aber nach und nach wird man merken, was für eine Faszination die Natur besitzt. Wenn ich mir ein im Frühjahr oder Sommer frisch aufgerolltes Blatt vom Baum nehme, dann sehe ich Adern, winzige Poren, im Sonnenlicht vielleicht ein Tröpfchen Wasser, das verdunstet. Das sind unglaubliche Einblicke in den Rhythmus des Lebens. Und wenn ich das erst einmal wahrnehme, dann kann ich nach und nach dieses Gespür auf andere Dinge ausweiten: Auf mich selbst, auf meine Nächsten und letztendlich auf Gott.
KNA: Hat sich Ihr Blick auf die Natur gewandelt?
Leenen: Er ist immer intensiver geworden. Die Natur hat mich schon fasziniert, als ich vor knapp 26 Jahren das Leben als Eremitin angefangen habe. Aber die Einsicht, dass es nur einen Planeten gibt, auf dem wir existieren, und dass alles mit allem zusammenhängt, ist mir erst mit den Jahren immer deutlicher geworden.
KNA: Wie meinen Sie das?
Leenen: Viele Leute sagen ja: Schade, wenn sich die Wüsten in Afrika ausbreiten - aber da kann man halt nichts machen. Doch das ist falsch. Die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien beispielsweise hat eine direkte Auswirkung auf unser Klima vor Ort, auf die Luft, die wir atmen. In 20 oder 30 Jahren mag ich selbst tot sein, aber die nachfolgenden Generationen wollen auch leben. Ich bin verflochten mit allen Menschen und mit der Umwelt, der Schöpfung. Was ich tue oder nicht hat eine Auswirkung auf alle und alles, selbst wenn ich es nicht sehe oder unmittelbar erlebe.
KNA: Nehmen Sie selbst Folgen von Umweltschäden und Klimawandel wahr?
Leenen: Vor zwei Jahren habe ich versucht, herauszufinden, wie viele Wildbienen es in meiner Umgebung gibt. Ein paar Mauerbienen konnte ich zählen - sonst war da nichts. Das hat mich dazu gebracht, ein riesiges Insektenhotel - fast schon ein Mietshaus - zu bauen. Ein anderes Beispiel: Wenn ich mit meinem Hund durch den Wald streife und dann sehe, wie viele Bäume jetzt wieder umgefallen sind bei den Stürmen, weil sie keine Kraft mehr haben, trifft mich das wie ein Donnerschlag.
KNA: Haben Sie so etwas wie Lieblingsmomente im Kreislauf der Jahreszeiten?
Leenen: Morgens, wenn ich meine Ziegen, die Katze und den Hund gefüttert habe, dann setze ich mich gern auf eine Bank. Wenn die Sonne aufgeht, alles langsam heller wird und der Feuerball mit seiner immensen Energie seine Strahlen über das Land schickt, sind das Momente, die ich sehr genieße.
Das Interview führte Joachim Heinz.