Erst zwei Jahrzehnte staatliche Unabhängigkeit in Osttimor

Armut, Unterdrückung und Hoffnung

Wer erst im 21. Jahrhundert in eine staatliche Unabhängigkeit aufbrechen darf, tut das wohl nicht unter besten Startbedingungen. Osttimor hat spektakuläre Wachstumswerte, aber gegenüber einem Ausgangspunkt nahe null.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Fischer in Osttimor (KNA)
Fischer in Osttimor / ( KNA )

Erst vor wenigen Wochen hat Osttimor gewählt: einmal mehr einen Helden des Unabhängigkeitskampfes. Die Epoche der Gründerväter in dem jungen südostasiatischen Land ist noch nicht zu Ende.

Friedensnobelpreisträger Jose Ramos-Horta (72) erhielt Mitte April 62 Prozent der Stimmen in der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Amtsinhaber Francisco "Lu-Olo" Guterres.

20. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit

Premierminister war Ramos-Horta schon 2006/07, danach Staatspräsident bis 2012; lebensgefährlich verletzt bei einem Attentat; einfacher Minister - und nun wieder Staatsoberhaupt. Er tritt sein Amt am Freitag (20. Mai) an, dem erst 20. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit.

Flagge von Osttimor / © Millenius (shutterstock)

Osttimor gehört zu den jüngsten Staaten der Welt. Doch schon unmittelbar seit es sich von der indonesischen Unterdrückung befreite, kämpft es einen neuen Kampf: um den Aufschwung eines freien, aber bitterarmen Landes. 41 Prozent der 1,3 Millionen Einwohner Osttimors gelten als arm.

Bis zu 180.000 der damals 800.000 Osttimorer, also fast jeder vierte, starb unter der Knute der indonesischen Besatzer. 1975 hatte Portugal den Inselteil Osttimor eigentlich in die staatliche Unabhängigkeit entlassen wollen; doch Indonesien griff so entschlossen wie widerrechtlich zu. Die Gewalt erreichte noch einmal einen neuen Höhepunkt vor dem Referendum, das 1999 gegen den erbitterten Widerstand Jakartas zustande kam. Am Ende konnten aber auch schwerste Menschenrechtsverletzungen die Unabhängigkeit 2002 nicht verhindern.

Auf den Tag genau zehn Jahre später, im Mai 2012, gab Ramos-Horta nach einer Wahlniederlage sein Amt als Staatspräsident ab. 1996 hatte er für seinen unermüdlichen Kampf um Gerechtigkeit und Unabhängigkeit für Osttimor zusammen mit Dilis damaligem Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo (74) den Friedensnobelpreis erhalten.

Zweitärmstes Land Asiens

Die Aufgaben für seine neuerliche Amtszeit sind weiter riesig: In dem kriegszerstörten Land von der Größe Thüringens fehlt es an Infrastrukturen aller Art. Die meisten der wenigen Straßen sind baufällig, es fehlen ausreichende Häfen und Flughäfen. Nur jeder fünfte Landbewohner hat Anschluss ans Stromnetz, nur jeder 500. gar Zugang zum Internet. Ein wichtiger Exportartikel ist Kaffee, doch sind die Nutzpflanzen hoffnungslos überaltert; viel Knowhow ist durch die Kriegsjahre verlorengegangen.

Christen bei einer Beerdigung in Osttimor (KNA)
Christen bei einer Beerdigung in Osttimor / ( KNA )

Osttimor gilt nach Afghanistan als das zweitärmste Land Asiens. Dennoch zeigt sich die Mehrheit der heute rund 1,3 Millionen Osttimorer eher zufrieden mit dem bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung. Es gibt ordentliche Wachstumsraten - allerdings von einem denkbar niedrigen Niveau aus.

Seit Jahren setzt man auf eine Erschließung der reichen unterseeischen Öl- und Gasvorkommen in der Timorsee. 2018 wurde ein Grenzstreit zwischen Australien und Osttimor beigelegt. Damit wäre der Weg eigentlich frei. Doch bislang findet sich kein technologisch potenter Partner - zumindest keiner, der die Verantwortlichen nicht bei der Erschließung über den Tisch zu ziehen droht. So bleiben die wirtschaftlichen Eckdaten Osttimors vergleichsweise schlecht.

Entwicklung

Alphabetisierung und medizinische Versorgung machen zuletzt deutliche Fortschritte, freilich von quasi null aus. Seit der Unabhängigkeit konnte die Zahl der Analphabeten von über 95 Prozent (1974) auf 16 Prozent (2015) reduziert werden. Im Staatshaushalt macht Bildung inzwischen rund 8 Prozent der Ausgaben aus; weit mehr als im regionalen Durchschnitt.

Osttimor: Kinder überqueren ein Reisefeld (KNA)
Osttimor: Kinder überqueren ein Reisefeld / ( KNA )

Die Bevölkerung wächst rasant, erst zuletzt deutlich langsamer; das Durchschnittsalter liegt bei nur 18 Jahren. Etwa die Hälfte der Menschen in Osttimor ist unter 15 Jahre alt - massive Jugendarbeitslosigkeit ist so vorprogrammiert. Jede neue Regierung, egal welcher politischen Couleur, steht vor riesigen Herausforderungen.

Enge diplomatische Kontakte zum Vatikan

Zu den engsten diplomatischen Kontakten des Landes zählt seit dem Unabhängigkeitskampf der Vatikan. Die Beziehungen wurden durch die Unterzeichnung eines Konkordats 2015 noch einmal gestärkt. Der Papstbotschafter in Osttimor, Erzbischof Marco Sprizzi, erklärte in seiner Gratulation zu den friedlichen Wahlen vom April, der Heilige Stuhl sei immer da, um die Regierung Osttimors für eine bessere Entwicklung des Landes zu unterstützen.

Und Anfang März teilte er die Absicht von Papst Franziskus mit, noch in diesem Jahr Osttimor besuchen zu wollen. Die ursprünglich für September 2020 geplante Visite war wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden.

Osttimor

Osttimor ist eine Republik in Südostasien. Der langgestreckte Inselteil von der ungefähren Fläche Thüringens grenzt westlich an Indonesien und liegt etwa 500 Kilometer nördlich von Australien.

Über etwa 400 Jahre gehörte Osttimor zum portugiesischen Kolonialreich, ehe es nach einem Bürgerkrieg um staatliche Unabhängigkeit 1975 von Indonesien annektiert wurde. Die brutale indonesische Besatzung endete 1999 im Zuge eines Referendums. Die Vereinten Nationen übernahmen bis zur förmlichen staatlichen Unabhängigkeit am 20. Mai 2002 die Kontrolle. Bis 2013 waren UN-Blauhelme im Land.

Osttimor / © JoaoCachapa (shutterstock)
Quelle:
KNA