DOMRADIO.DE: "Alle sind willkommen – ob mit oder ohne Glauben – zu essen zu trinken zu rasten – einander kennen zu lernen – ins Gespräch zu kommen – sich wohl zu fühlen – gemeinsam unter dem Kirchendach". So heißt es in der Einladung auf Ihrer Internetseite. Vom vergangenen Montag an bis zum 4. Februar verwandelt sich die evangelische Martin-Luther-Kirche in Gütersloh in eine "Vesperkirche". Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Dr. Nils Wigginghaus (Organisator der "Vesperkirche" in der evangelischen Martin-Luther-Kirche in Gütersloh): Diese Idee der "Vesperkirche" ist insgesamt nicht neu. Es gibt sie im süddeutschen Raum - in Bayern und Baden-Württemberg - schon seit vielen Jahren. Für uns in Nordrhein-Westfalen ist sie neu. Ich glaube, dass wir die erste "Vesperkirche" in Nordrhein-Westfalen sind. Über Süddeutschland ist die Umsetzung der Idee auch in mir gewachsen. Ich habe am Bodensee studiert und ein ehemaliger Studienkollege von mir war eingeladen, in einer "Vesperkirche" zu helfen. Ich einem Gespräch berichtete er mir davon, und so war meine Neugier geweckt.
DOMRADIO.DE: Was ist denn das Grundkonzept dieser Kirche?
Wigginghaus: Das Grundkonzept hat zwei Säulen. Wir geben grundsätzlich über 14 Tage jeden Tag Essen ohne Gegenleistung aus. Die Gäste können etwas spenden, müssen aber nicht. Im Prinzip verschenken wir das Essen. Das lockt natürlich auch viele Menschen an, die einsam sind oder die Schwierigkeiten haben, sich Essen zu leisten. Diese Gäste sind die eine Säule.
Die andere Säule sind die Helferinnen und Helfer. Die Essensausgabe erfolgt am Tisch. Die Menschen werden am Tisch durch Ehrenamtliche, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten haben gewinnen können, bedient. Wir haben insgesamt über die 14 Tage rund 600 Ehrenamtliche im Einsatz, die sich als Servierer, Aufräumer und Portionierer betätigen, damit die Gäste versorgt werden.
DOMRADIO.DE: "Alle sind willkommen" heißt es. War es wirklich ein bunter Mix an Menschen, die zu Gast kamen?
Wigginghaus: Ja, ein ganz gemischter Kreis. Das ist auch der große Erfolg, den wir jetzt schon verzeichnen können. Es waren Menschen vom Rande der Gesellschaft da, Menschen, von denen ich glaube, dass sie lange nicht am Platz bedient worden sind und vielleicht auch Schwierigkeiten haben, sich ein warmes Mittagessen zu leisten. Es waren aber auch Belegschaften da. Viele Unternehmen haben in der Mittagspause die "Vesperkirche" genutzt. Insofern eine bunte Mischung. Es kamen alte und junge Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Die "Vesperkirche" wendet sich an alle. Das hat bisher auch ganz hervorragend funktioniert, denn durch das Aufeinandertreffen entstehen Begegnungen, die es sonst nicht gegeben hätte. Und das ist unser Ziel, dies zu ermöglichen.
DOMRADIO.DE: Was haben Ihnen denn die Gäste und auch die Ehrenamtlichen bisher für ein Feedback zurückgespielt?
Wigginghaus: Am Anfang und am Ende einer jeden Veranstaltung machen wir mit den Helfern eine Art Ritual. Beim Endritual gibt es immer auch die Möglichkeit, aus der Helferschaft heraus zu sagen, was ihnen durch den Kopf gegangen ist. Mir ist dabei aufgefallen, dass die Menschen eine große Freude daran haben, zu geben. Während wir dort standen und uns verabschiedeten, kam auch einer der Gäste auf uns zu und hat sich an die Helferschar gewandt und sich dafür bedankt, dass dies alles für die Gäste gemacht wurde. Er habe wirklich viele neue Leute kennengelernt und die Gastfreundschaft sehr genossen. Das ist ein wunderbares Feedback.
DOMRADIO.DE: Sie machen das insgesamt zwei Wochen lang. Was ist denn noch geplant die nächsten Tage?
Wigginghaus: Wir haben an jedem Tag als Kernpunkt die Essensausgabe. Aber wir haben auch jeden Tag einen spirituellen Impuls. Um 13.00 Uhr wird die Essensausgabe für fünf Minuten unterbrochen. Dann findet entweder eine kleine Lesung statt oder ein Gedicht beziehungsweise ein Gebet oder eine Anekdote wird vorgetragen, die die Menschen innehalten lässt und zum Nachdenken bringt. Um 14.00 Uhr gibt es jeden Tag eine kleine Aufführung der beiden Gütersloher Musikschulen.
Schließlich haben wir abends noch Kulturveranstaltungen, wie einen Kinoabend und eine Slam-Poetry-Veranstaltung. Insbesondere das Kino ist eine große Herausforderung, denn die Gäste schauen in beide Richtungen. Einmal sind es die Bänke, die Richtung Altar gerichtet sind und zum anderen die Bänke, die wir zum Kirchenausgang umgedreht haben. Das heißt, wir haben zwei Leinwände, auf denen der gleiche Film gezeigt wird. Ich glaube, das wird eine besonders spannende Veranstaltung.
Das Interview führte Martin Mölder.