DOMRADIO.DE: Wie innovativ war es, damals vor 50 Jahren ein solches Ökumenisches Zentrum gemeinsam zu erschaffen?
Oliver Henke (Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Am Richtsberg): Innovativ war es insofern, als dass das Ökumenische Gemeindezentrum am Richtsberg das erste in Deutschland gewesen ist und für die Menschen in diesem Stadtteil ein Pioniergeist aufkam. Ich gehe davon aus, dass viele ökumenische Zentren im Zusammenhang mit der Neugründung von Stadtteilen gebaut wurden und dass dort, wo Menschen mit unterschiedlichen Konfessionen zusammenkamen, sie sich plötzlich fragten: 'Wie können wir das Zusammenleben gut gestalten als evangelische und katholische Christinnen und Christen?'
Und sie wollten dieses Zusammensein in einem gemeinsamen kirchlichen Zentrum dann auch gestalten und miteinander kirchliches Leben nach außen bringen. Insofern war das am Richtsberg natürlich auch eine große Gelegenheit, mit diesem Neubau mit Menschen, die dort anfangen zu siedeln, etwas Neues zu gestalten.
DOMRADIO.DE: Die Planungen für diesen Bau begannen Ende der 1960er Jahre. Können Sie erzählen, wie dieses Gebäude architektonisch geplant wurde?
Henke: Als multifunktionale Zentrum. Wenn man vor der Kirche steht, erkennt man gar nicht, dass es eine Kirche ist. Man würde denken, es ist eine Turnhalle. Das Architekten-Kollektiv hat im Grunde versucht, Sakrales mit sehr handwerklichem Miteinander zu verbinden, hat also von vornherein an die Menschen im Stadtteil gedacht und an deren Bedürfnisse, sich zu begegnen, miteinander gemeinschaftlich zu arbeiten oder auch Zeit zu verbringen, Freizeit zu verbringen.
Das Sakrale war im Grunde eine Nebenform des Ganzen. Es fand statt, aber wesentlich war, dass die Räume in ihren Funktionen veränderbar waren, auch in ihrem Zuschnitt und auch so, dass man in vielen Räumen das Gefühl hat, dass man im Grunde in einer Werkstatt ist, weniger in einer Kirche. Es ist darauf ausgelegt, gebraucht zu werden, Gebrauchsspuren auch zu entwickeln.
DOMRADIO.DE: Mit einigen Ideen der Architekten waren die Gemeinden dann aber nicht einverstanden. Was war da konkret der Zankapfel?
Henke: Das war noch nicht mal die Idee der Architekten, sondern der katholischen und evangelischen Kirchenleitungen. Ursprünglich hatten die planenden Kirchengemeinden vor, einen gemeinsamen Kirchenraum zu entwickeln und darin auch gemeinsame Gottesdienste zu feiern. Das war für die damalige Zeit wirklich revolutionär. Allerdings haben die Kirchenleitungen dem einen Strich durch die Rechnung gemacht und eine Wand zwischen den Räumen einziehen lassen, eine Mauer.
In einem Beitrag des NDR in der Sendung "Glauben und Denken" wurde das betitelt mit "Die Wand von oben gemauert, von unten bedauert". Das ist bis heute so, dass unsere Kirchengemeinden sehr bedauern, dass diese weiße Ziegelwand die beiden Kirchenräume voneinander trennt und wir immer noch getrennt voneinander Gottesdienste feiern; allerdings in einer Kirche.
DOMRADIO.DE: Ist dieses Zentrum damit gescheitert?
Henke: Nein, ist es nicht. Es ist in der Tat wahr, dass wir momentan eine Stand-by-Ökumene haben. Wir haben ökumenische Projekte, das ist wahr. Aber das, was sich eigentlich die Urväter und Urmütter vorgestellt hatten, an ökumenischem Geben, das haben wir zurzeit nicht. Das hat auch seine bestimmten Gründe.
Aber wir haben eine eine Aussicht, und das gibt das Gebäude wieder. Ökumene ist nicht gleich Kirchengebäude, oder das Kirchengebäude macht nicht Ökumene aus, sondern die Menschen, die da drin sind. Aber wir haben erst einmal ein Gebäude, ein Ökumenisches Zentrum, das uns die Möglichkeit gibt, mit einem weiteren Horizont ökumenisch zu arbeiten.
DOMRADIO.DE: Wo, würden Sie sagen, liegt das grundlegende Problem bei diesem Thema der Ökumene? Wieso kommen Gemeinden da oft so schwer zusammen? Selbst wenn es so eine Anfangseuphorie gibt, warum ebbt das dann wieder ab?
Henke: Weil sich Euphorie irgendwann ausbrennt, wenn es keine erkennbaren Fortschritte gibt, die Menschen zum Alltag übergehen. Für viele Menschen in den 60er und 70er Jahren war vor allem drängend, was mit gemischtkonfessionellen Ehen ist.
Die Teilnahme am Abendmahl beziehungsweise an der Eucharistie, das war das vorrangige Problem gewesen. Die Menschen wollten gemeinsam Gottesdienste feiern und bis heute sind wir aus bestimmten theologischen Gründen nicht so weit.
Wir feiern immer noch nicht miteinander Abendmahl. Und viele Christinnen und Christen sind ihre eigenen Wege damit gegangen. Entweder umgehen sie das oder es ist ihnen mittlerweile egal. Wir stehen im Grunde, was Ökumene angeht, vor ganz anderen Herausforderungen als damals, auch hier im Stadtteil.
Der Stadtteil war früher im Grunde homogen. Die einzige Unterscheidung war evangelisch und katholisch. Heute sind wir ein multikultureller Stadtteil mit besonderen Bedürfnissen, früher hätte man gesagt sozialer Brennpunkt. Dort leben 90 verschiedene Nationalitäten, das macht jetzt die Herausforderung von Ökumene aus.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich persönlich für die Ökumene?
Henke: Einen weiteren Raum. Wir haben uns zur Aufgabe gesteckt, ein offenes Haus zu sein, ganz unabhängig davon, welche Überzeugungen, welche religiösen Grundwerte, welche Lebensformen Menschen haben. Wir möchten für die Menschen hier im Stadtteil da sein, mit ihren Problemen, mit ihren Herausforderungen, mit dem, was sie gerade angeht.
Dafür wollen wir miteinander Konzepte entwickeln. Wir haben einen sozialdiakonischen Schwerpunkt und den auch ökumenisch sein zu lassen, das finde ich wichtig. Wir sind katholisch, evangelisch, aber an dem Punkt wo es sozialdiakonisch wird, wo wir Hilfe leisten für diesen Stadtteil, da arbeiten wir gemeinsam.
Das Interview führte Verena Tröster.