Das ist eine Trendwende. Der seit Jahrzehnten andauernde Rückgang der Geburtenrate in Deutschland scheint vorerst gestoppt zu sein. Nach Angaben das Statistischen Bundesamtes stieg die sogenannte zusammengefasste Geburtenziffer erstmals seit mehr als 30 Jahren wieder auf den Wert von 1,5 Kindern je Frau. Ein ähnlich hoher Wert sei zuletzt 1982 in Gesamtdeutschland mit 1,51 erreicht worden, erklärte das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden.
Verantwortlich für den Zuwachs sind allerdings vor allem Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Bei den Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit nahm die Geburtenziffer nur geringfügig von 1,42 im Jahr 2014 auf 1,43 Kinder je Frau im Jahr 2015 zu. Bei den Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit stieg sie dagegen deutlich von 1,86 auf 1,95 Kinder je Frau.
Trendwende
Von einer Trendwende bei den Geburtenraten hatte kürzlich auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) gesprochen. Nach seinen Berechnungen wird sich die endgültige Kinderzahl von Frauen, die 1973 geboren wurden, auf 1,56 erhöhen. Für die nachfolgenden Jahrgänge sei sogar mit einem Anstieg auf 1,60 zu rechnen, so das BiB. Es erinnerte daran, dass Frauen des Geburtsjahrgangs 1968 im Schnitt nur 1,49 Kinder zur Welt gebracht und damit den bisherigen Tiefpunkt der Geburtenrate markiert hätten.
Trotz der Zunahme liegt die Geburtenrate allerdings noch immer weit unter dem Niveau von 2,1 Kindern, bei dem Geburten und Todesfälle ausgeglichen sind. Diesen Wert hatten zuletzt Frauen erreicht, die Mitte der 1930er Jahre geboren wurden.
Nach absoluten Zahlen im Geburtentief
Wie sehr Deutschland immer noch im Geburtentief steckt, zeigen die absoluten Zahlen: Wurden 1964 noch 1,3 Millionen Jungen und Mädchen geboren, waren es 2015 nur 738.000. "Die aktuelle Müttergeneration ist viel kleiner als die davor, deswegen gibt es zwangsläufig viel weniger Kinder", sagt der BiB-Experte für Familienpolitik und Geburtenraten, Martin Bujard. Das besondere an Deutschland sei, dass über einen besonders langen Zeitraum hinweg sehr wenig Kinder geboren worden seien.
Wissenschaftlich umstritten ist dabei die Frage, ob vor allem ein hoher Anteil kinderloser Frauen oder der Rückgang kinderreicher Familien wesentlich zur niedrigen Geburtenrate beitragen. In einer Anfang Oktober erschienenen Studie, die die Geburtenzahlen seit dem Zweiten Weltkrieg analysiert, hat Bevölkerungsforscher Bujard eine klare Antwort gegeben: "Kinderlose sind für knapp 26 Prozent des Geburtenrückgangs verantwortlich", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". 68 Prozent aber seien damit zu erklären, dass größere Familien mit drei oder mehr Kindern immer seltener geworden seien.
Deutschland und die Zwei-Kinder-Norm
Bujard sieht darin ein Problem der kulturellen Normen: In kaum einem Land gebe es so große Vorbehalte gegenüber Kinderreichtum wie in Deutschland, sagte er. Der Wissenschaftler verwies auf eine Umfrage unter jungen Menschen, nach der 72 Prozent der Aussage zustimmten, dass kinderreiche Familien als asozial gälten. "Dabei sagten in der selben Umfrage allerdings nur acht Prozent von 5.000 Teilnehmern, dass sie persönlich so über Kinderreiche denken." Die tatsächliche Anerkennung für Eltern von vielen Kindern sei also gerade in der jungen Generation hoch.
Der Bevölkerungsforscher bescheinigt den Deutschen ein besonders perfektionistisches Streben, eine Zwei-Kind-Norm zu erfüllen. Das schlage sich dann auch beim Kindergeld oder in staatlichen Dokumenten nieder: Im Mutterpass beim Frauenarzt sei Platz für genau zwei Schwangerschaften. Von Kindergelderhöhungen profitierten in erster Linie das erste und das zweite Kind, während für weitere Kinder gerade mal der Inflationsausgleich erreicht worden sei. "Ich fürchte, unser Ideal von der Familie mit zwei Kindern ist den meisten Menschen überhaupt nicht bewusst", folgert der Bevölkerungsforscher. Die Politik könne das nur schwer ändern. Gefragt sei ein Bewusstseinswandel.