Erzbischof Bentz spricht über die Lage im Nahen Osten

"Es gibt keine Alternative zum Dialog"

Der Paderborner Erzbischof Udo Bentz ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Bischofskonferenz. Er ist zur Zeit in Jerusalem und macht sich große Sorgen um die Krisensituation und die Menschen vor Ort.

Erzbischof Bentz in Jerusalem / © Daniela Elpers (DBK)
Erzbischof Bentz in Jerusalem / © Daniela Elpers ( DBK )

DOMRADIO.DE: Sie haben im Vorfeld gesagt, dass Sie nicht nur als Teilnehmer der Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum des Theologischen Studienjahres nach Jerusalem reisen, sondern auch als jemand, dem die derzeitige Situation im Heiligen Land nahe geht. Seit Donnerstagmorgen sind Sie dort unterwegs. Wie geht es Ihnen denn? Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Bischof Udo Bentz / © Daniel Pilar (KNA)
Bischof Udo Bentz / © Daniel Pilar ( KNA )

Udo Bentz (Erzbischof von Paderborn, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Deutschen Bischofskonferenz): Die Situation geht mir nah. Ich bin jedes Jahr mit der Holy Land Co-ordination meist in Jerusalem oder im Westjordanland. Ich erlebe, dass durch das Massaker vom 7. Oktober und durch den Terrorangriff der Hamas alles anders geworden ist. 

Die Gesprächspartner haben mir das auch in dieser Weise bestätigt. Jemand hat mir zum Beispiel gesagt, dass der Terrorangriff der Hamas die schlimmste Erfahrung sei, die sie als israelisches Volk seit dem Holocaust machen müssen. 

Udo Bentz

"Es ist nicht nur schlimmer geworden, sondern es ist anders geworden."

Ich glaube, wir können uns aus der Distanz heraus gar nicht vorstellen, welche Traumatisierungen damit einhergehen. Andererseits ist bei meinen Gesprächspartnern deutlich geworden, dass infolge dessen, was im Gazastreifen passiert, auch die palästinensischen Bevölkerung traumatisiert ist. Man kann sagen, es hat sich alles verändert. Es ist nicht nur schlimmer geworden, sondern es ist anders geworden.

Bundeswehr wirft Hilfsgüter für Gazastreifen ab / © Sherifa Kästner/Bundeswehr (dpa)
Bundeswehr wirft Hilfsgüter für Gazastreifen ab / © Sherifa Kästner/Bundeswehr ( dpa )

DOMRADIO.DE:  Am 7. April ist das Attentat der Hamas-Terroristen schon ein halbes Jahr her. Sie merken wahrscheinlich, dass es im Land rumort, dass die Terroristen immer noch die Israelis entführt halten.

Udo Bentz

"Das sind Punkte, die uns zeigen, dass wir das von außen auf die Distanz gesehen, nicht wahrnehmen können."

Bentz: Genau. Wenn man am Flughafen ankommt, geht man durch eine, es wäre zynisch zu sagen, Galerie, aber für jede Geisel, die noch in den Händen der Hamas ist, gibt es ein Plakat mit Bild und den Lebensdaten. Sie gehen diese Reihe entlang und dieses Leid wird ihnen ganz deutlich vor Augen sichtbar für die Familien, für die Angehörigen und für die Freunde. 

Wer hat die Möglichkeit, diesem Elend ein Ende zu setzen? Die Hamas, aber auch die israelische Regierung. Umgekehrt bin ich in den Gesprächen mit der humanitären, katastrophalen Situation für die Menschen in Gaza konfrontiert. Vater Gabriel, der Pfarrer der Pfarrei in Gaza, kann derzeit nicht in Gaza sein. In einem Gespräch mit ihm ist deutlich geworden, dass die Menschen nach wie vor ausharren. 

Es gibt nichts mehr zu essen, selbst auf dem Schwarzmarkt. Selbst bei horrenden Preisen ist kaum etwas zu bekommen. Auch die Schwestern der Mutter Teresa mit ihren gehandicapten Menschen müssen dort ausharren. Auch dieses Leid, diese humanitäre Katastrophe, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. 

Besuch des Ordens der Kleinen Schwestern vom Evangelium an der VI. Station der Via Dolorosa in Jerusalem  / © Daniela Elpers (DBK)
Besuch des Ordens der Kleinen Schwestern vom Evangelium an der VI. Station der Via Dolorosa in Jerusalem / © Daniela Elpers ( DBK )

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit darf völkerrechtlich gesehen in einer solchen Konfliktsituation nicht außer Acht gelassen werden. Es ist eine sehr komplexe Situation. Denn auch für die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland ist während dieser Zeit die Situation eine andere geworden. 

Die Siedlungspolitik ist im Schatten des Gaza Krieges weitergegangen und hat neu an Dynamik gewonnen. Es wird viel berichtet von einer Siedlergewalt im Westjordanland, die auf die palästinensische Bevölkerung einstürzt. Das sind Punkte, die wir von außen, auf die Distanz gesehen, nicht wahrnehmen können.

Udo Bentz

"In jedem Konflikt gibt es keine Alternative zum Dialog."

DOMRADIO.DE: Sie führen viele Gespräche. Unter anderem haben Sie an einem Dialogprojekt zwischen Juden, Christen und Muslimen teilgenommen. Welche Chance hat der Dialog in dieser von Krieg und hasserfüllten Situation?

Bentz:  Ich glaube, in jedem Konflikt gibt es keine Alternative zum Dialog. Das Reden miteinander ist so wichtig, dass man ins Gespräch miteinander kommt. Auf allen Ebenen ist das der einzige Weg, um in irgendeiner Form überhaupt nächste Schritte gehen zu können. 

Erzbischof Bentz besucht die St.-Jakobus-Kathedrale in Jerusalem / © Daniela Elpers (DBK)
Erzbischof Bentz besucht die St.-Jakobus-Kathedrale in Jerusalem / © Daniela Elpers ( DBK )

Das "Rossing Center for Education and Dialogue" versucht, auf einem sehr niedrigem Level Brücken zu bauen. Das ist dieses Projekt, das wir besucht haben. Sie verstehen sich als Peace-Building-Maßnahme und versuchen, Gespräche zu ermöglichen. 

Menschen aus Israel und Menschen der palästinensischen Bevölkerung werden miteinander in Kontakt gebracht. Sie hören einander zu, was sie erleben, was sie erleiden, was sie sich erhoffen und was sie sich ersehnen. Das sind Schritte auf einer ganz anderen Ebene als die politischen Entscheidungen. Aber das sind Schritte, die hin zu einem Frieden genauso notwendig sind. Das ist das, was uns als Kirche am Herzen liegt.

Udo Bentz

"Christen sind nicht auf der oder der Seite, sondern in allen Situationen dieses Konfliktes sind betroffen."

DOMRADIO.DE: Was bedeutet der Krieg für die Christen im Heiligen Land? Wie nehmen Sie das wahr?

Bentz: In Deutschland laufen wir manchmal Gefahr, die Situation etwas zu holzschnittartig zu sehen. Es ist sehr viel komplexer, sehr viel schwieriger und umfassender, als wir das denken. Christen hier im Heiligen Land sind zum Beispiel selbst Opfer des Terrorangriffs vom 7. Oktober geworden. 

Christen sind als israelische Bürger als Soldaten im Einsatz. Es sind aber auch die Christen, von denen ich erzählt habe, die in Gaza unter dieser humanitären Katastrophe leiden, leben und ausharren müssen. Es sind auch die Christen im Westjordanland, die im Alltag spüren, wie bisheriges Misstrauen teilweise in Hass umgeschlagen ist. Christen sind nicht auf der oder der Seite, sondern in allen Situationen dieses Konfliktes mitbetroffen.

Schülerinnen der Schmidt-Schule in Jerusalem

"Wir haben trotz allem Sehnsüchte und Hoffnungen für unser Leben."

DOMRADIO.DE: Was gibt den Menschen in dieser verfahrenen Situation noch Hoffnung?

Bentz: Ich habe im Gespräch mit Schülerinnen der Schmidt-Schule gespürt, wie schwierig ihr Alltag geworden ist. Die Eltern sagen, dass sie zu Hause in der Wohnung bleiben müssen. Es sei für sie zu gefährlich. Der Schulweg wird zu einer Herausforderung. 

Auf der anderen Seite erlebte ich in diesem Gespräch diese jungen Frauen der elften Klasse, die sagen: "Wir haben trotz allem Sehnsüchte und Hoffnungen für unser Leben. Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung dafür, dass wir unsere Hoffnungen und Sehnsüchte auch leben können?" 

Schmidt-Schule in Jerusalem / © Daniela Elpers (DBK)
Schmidt-Schule in Jerusalem / © Daniela Elpers ( DBK )

Das drückt, das ist herausfordernd, das geht unter die Haut. Mir geht das unter die Haut. Wenn junge Schülerinnen mir das so direkt sagen. Ich spüre, dass sie ihre Hoffnungen leben wollen. Damit verbindet sich die Rückfrage, wie sollen sie das realisieren? 

Sie wollen hier ihren Schulabschluss so gut wie möglich machen. Sie erhoffen sich im Ausland, nicht in der Heimat, eine Zukunft zu finden. Das ist das Tragische daran, dass diese junge Generation Hoffnung und Sehnsucht für eine gute Zukunft in ihrer Heimat hat, aber diese Visionen sich anscheinend für die meisten nur auswärts der Heimat verwirklichen lässt.

Udo Bentz

"Denn überall, wo die Rechte missachtet werden, ergibt sich ein neuer Boden für Extremismus."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen denn die Kirchen in diesem Krieg, in diesem Konflikt?

Bentz: Der Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, hat mir gesagt, dass wir Kirchen nicht die politischen Kräfte seien, sondern unsere Aufgabe sei es, an der Seite der Menschen zu stehen; auf allen Seiten, überall wo Menschen leiden. Vor allem sollen wir dafür eintreten, dass die Würde des Menschen in diesem Konflikt geachtet wird.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, bei der Messe in der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem, bei der Messe in der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Das war ein wichtiger Gedanke, der deutlich geworden ist. Auch die Rechte der palästinensischen Zivilbevölkerung sind in diesem Konflikt zu achten und für sie eine Zukunft zu eröffnen. Wenn die Rechte der palästinensischen Bevölkerung geachtet werden, dann kann das nicht dem Sicherheitsbedürfnis Israels entgegenstehen, sondern dann dient es dem Sicherheitsbedürfnis Israels. 

Denn überall, wo die Rechte missachtet werden, ergibt sich ein neuer Boden für Extremismus. Das kann für diese Region, für das Heilige Land und für alle Beteiligten keine Option sein.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR