Erzbischof Gänswein im großen domradio.de-Interview - Teil 1

"Karfeitag ist der Preis für Ostern"

Im großen domradio.de-Interview spricht Erzbischof Georg Gänswein ausführlich über Ostern, seine Arbeit und die Theologie der Kar- und Ostertage. Im ersten Teil: Die Bedeutung des Karfreitags und das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. 

Erzbischof Georg Gänswein / © Andreas Gebert (dpa)
Erzbischof Georg Gänswein / © Andreas Gebert ( dpa )

domradio.de: "Es ist vollbracht." Mit diesem kleinen Satz berichtet Johannes vom Tod Jesu Christi. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie das lesen oder hören?

Erzbischof Georg Gänswein (Präfekt des päpstlichen Hauses): Jedes Jahr in der Karfreitagsliturgie ist dieser Satz einer der Spitzensätze, der uns lehrt und hilft, das Geheimnis des Karfreitags, das Geheimnis des Kreuzes zu verstehen. Ob wir das jemals ganz verstehen, wage ich zu bezweifeln. Jahr für Jahr sind wir vielleicht näher dran. Ich weiß jedoch nicht, ob wir es ganz schaffen. Er hilft mir, tiefer in das Kreuzesgeheimnis hinabzusteigen und dieses Geheimnis auch im Glauben auszuhalten.

domradio.de: Wie verstehen Sie diesen Tag denn?

Gänswein: Karfreitag ist der Preis für Ostern, für die Auferstehung Christi und für all jene, die an die Auferstehung glauben. Dieser Tag hilft mir tatsächlich in diesem Geheimnis auch all das, was mir schwerfällt, was ich als Kreuz zu tragen habe angesichts dieses Geheimnisses, besser zu tragen und im Glauben an Jesus Christus besser tragen zu können.

domradio.de: Ist der Tag komplett anders ist als alle anderen Tage im Jahr?

Gänswein: Er ist äußerlich nicht anders. Karfreitag ist ähnlich wie die anderen Tage, aber er ist anders gefüllt. Die Liturgie hilft mir, von äußeren Umständen Abschied zu nehmen, mich auf das eigentliche Geheimnis des Karfreitags hinzuführen, ihm auszusetzen und mich von ihm führen zu lassen. Die Stimmung ist stiller, es gibt weniger Lärm. Das spüre und merke ich und das tut aber auch gut.

domradio.de: Gerade hier bei uns in Deutschland gibt es Jahr für Jahr Diskussionen um die Karfreitagsruhe. Was ist Ihre Meinung? Ist das Pflicht oder ist es Respekt dem Glauben gegenüber?

Gänswein: Wer den Glauben ernst nimmt, der kann und muss zwischen "Essentials" und "Optionals" unterscheiden. Die Stille an Karfreitag, meine ich, gehört nicht zu den "Optionals", sondern auch zu den "Essentials", denn der Glaube und das Geheimnis des Glaubens sind Dinge, die mir helfen, mein Leben besser zu verstehen. Da ist jeder Preis zu bezahlen.

domradio.de: Der Karfreitag ist in Italien kein Feiertag wie hier in Deutschland. Mussten Sie sich zu Anfang Ihrer Zeit in Rom daran gewöhnen, dass an dem Tag die Geschäfte geöffnet haben?

Gänswein: Das ist in der Tat so. Ich musste mich nicht nur daran gewöhnen, ich war am Anfang entsetzt. Aber die Wirklichkeit ist stärker als persönliche Empfindungen. Auf der anderen Seite ist es so, dass im Vatikan selbst - obwohl der Vatikan in Rom liegt - doch eine andere Stimmung herrscht. Ich musste mich aber tatsächlich erst an das römische Klima in dieser Form gewöhnen.

domradio.de: Mit Tagen wie Karfreitag oder auch Heiligabend verbinden wir auch besonders Erinnerungen aus unserer Kindheit. Wie haben Sie den Karfreitag in Ihrer Kindheit und Jugend erlebt?

Gänswein: Ich erinnere noch sehr gut als Ministrant. Die Glocken schweigen auch in der Liturgie, nicht nur die Kirchenglocken. Wir hatten damals als Ministranten diese Klöppel und das war das, was mich mordsmäßig überzeugt hat. Wenn ich daran denke wird immer wieder lebhaft, dass diese Form des Karfreitags, das Schweigen der Glocken und das Sprechen der Holzglocken, anspricht. Das zieht mich hinein in die Jugend und weckt große, gute, dankbare Erinnerungen.

domradio.de: Ist der Karfreitag ein Tag, den Sie auch immer wieder neu entdecken müssen?

Gänswein: Jedes Jahr versuche ich von vorn anzufangen oder weiter zu machen und jedes Jahr hoffe ich, dass ich ein kleines Stück weiterkomme.

domradio.de: Fällt es Ihnen nicht manchmal schwer, am Karfreitag von Erlösung zu sprechen?

Gänswein: Warum muss Gottes Sohn am Kreuz sterben, um uns zu erlösen? Warum hat Gott nicht einen anderen, weniger qualvollen Weg gewählt? Wir wissen es nicht. Wir wissen aus der Offenbarung, dass es so ist, dass wir diesen Weg mit dem Herrn mitgehen sollen und dass er um unseres Heiles Willen gestorben ist. Mitzugehen, besser zu verstehen, mitzufühlen ist etwas, das den Glauben wachsen lässt und das mich auch im Glauben weiter und tiefer trägt.

domradio.de: Papst Franziskus hat wenige Tage nach seiner Wahl bei seinem allerersten Kreuzweg am Kolosseum genau das gesagt: "Setzen wir jetzt diesen Kreuzweg im Alltagsleben fort. Gehen wir, indem wir dieses Wort der Liebe und der Vergebung im Herzen tragen." Wie kann man denn das Kreuz im Alltag verstehen und bewegen?

Gänswein: Das Entscheidende ist das Wort des Herrn: "Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt, ist meiner nicht wert, kann nicht mein Jünger sein." Die Kreuze sucht man sich nicht selbst, das ist auch besser so. Kreuz tragen heißt Anteil nehmen, auch am Schweren, an dem, was uns nicht gefällt, was uns schwer fällt. Aber im Blick auf den kreuztragenden Herrn ist es für mich eine große Hilfe, den Satz von Papst Franziskus nicht nur zu hören, sondern ihn auch zu leben. Dass ich das, was ich mit dem Ohr aufgenommen habe, im Herzen erwäge und auch im konkreten alltäglichen Tun vollziehe.

domradio.de: Wenn der Karfreitag der Grund der Erlösung der Menschen ist, müsste er eigentlich doch auch ein Grund zum Feiern sein, oder?

Gänswein: Das ist in der Tat so! Nur ist die Art der Feier des Karfreitags eine andere als die Feier in der Osternacht, am Ostersonntag. Wir feiern in einer dem Geheimnis angemessenen Form. Darauf kommt es an und darauf legt ja auch die Liturgie einen sehr großen Wert.

domradio.de: Dennoch hat man das Gefühl, gerade hier in Deutschland - und möglicherweise auch in vielen anderen Ländern Europas - fällt es schwer, den Menschen die Bedeutung des Karfreitags deutlich zu machen. Braucht es da neue Wege, muss man da vielleicht sogar neu erklären?

Gänswein: Das glaube ich auch. Auf der anderen Seite ist es so: Menschen, die im Glauben großgeworden sind, durch die Liturgie auch geprägt worden sind, die sind auch vom Inhalt dieses Tages geprägt worden. Da hilft die Liturgie in der Tat, sich diesem Geheimnis immer wieder neu zu stellen. Aber wenn wir um uns schauen, sehen wir, dass viele Menschen mit dem Glauben fast gar nichts mehr zu tun haben. Da ist es wichtig, in der Katechese neue Wege zu finden und den Mut zu haben, neue Wege zu verkünden und auf neuen Wegen dem Geheimnis von Karfreitag besser auf den Grund zu kommen.

domradio.de: Wenn Sie den Karfreitag  in nur einem Satz erklären müssten, wie würde der lauten?

Gänswein: Gott liebt den Menschen auch und gerade in der Not.

domradio.de: Der Papst hat am 8. Dezember ein Hl. Jahr eröffnet. Ist trotz der vielen besondere Gottesdienste  und Veranstaltungen das Osterfest absoluter Höhepunkt des Jahres?

Gänswein: Es bleibt der absolute Höhepunkt des Jahres -  gerade im Jahre der Barmherzigkeit.

domradio.de: Nach der Karfreitagsliturgie wird ja in vielen Gemeinden die Möglichkeit zur Beichte angeboten. Auch Papst Franziskus ist die Beichte ein wichtiges Anliegen. In vielen westlichen Ländern ist sie aber zum Auslaufmodell geworden. Wie kann man dieses Sakrament wieder neu beleben?

Gänswein: Wer selber regelmäßig beichtet, weiß, wie geistig wohltuend und notwendig dieses Sakrament ist. Jeder, der aus dieser Erfahrung lebt - auch gerade als Priester - der wird nicht müde werden, tatsächlich Menschen einzuladen, dieses Sakrament zu empfangen. Wo Menschen großen Abstand zu diesem Sakrament haben, muss man alles tun, um die Hindernisse, die Not, die Sorge, möglicherweise auch die Scham zu nehmen. Die Gefahr ist immer: Wenn ich etwas sage, was denkt er dann über mich? Es geht nicht darum, was ein Priester denkt, sondern es geht darum, dass durch den Priester Gott selbst in das Leben eines Menschen eingreift und dass durch dieses Sakrament wirklich konkrete geistliche Hilfe geboten und auch gewährleistet wird.

domradio.de: In diesem Zusammenhang hat der Kölner Weihbischof Ansgar Puff einen sehr deutlichen Vergleich gezogen: Der Beichtstuhl ist so etwas wie die Müllabfuhr.

Gänswein: Das ist ein schönes Bild, was mir gefällt. Ich gebe ihm recht: Wenn ich selber aus dem Beichtstuhl steige, merke ich in der Tat, dass ich Müll entsorgt habe. Und zwar nicht wild - es gibt ja auch eine wilde Müllentsorgung und ich schmeiße den Dreck in den Wald - sondern geordnet. Ich gehe in den Beichtstuhl und lasse mir dort die Sünden vergeben. Das ist geordnete Müllabfuhr.

domradio.de: Unter Barmherzigkeit kann man ganz unterschiedliche Sachen verstehen. In Deutschland werden damit auch kirchenpolitische Dinge verbunden wie die zivil-wiederverheirateten Geschiedenen. Was können sie denn in diesem Heiligen Jahr von der Kirche erwarten?

Gänswein: Barmherzigkeit ist ein ganz wichtiges zentrales Wort, aber man muss immer aufpassen. Man darf die Barmherzigkeit nicht gegen die Wahrheit ausspielen und die Wahrheit gegen die Barmherzigkeit. Es ist sehr wichtig, dass wir da das Gleichgewicht finden und halten. Ich bin überzeugt davon, dass auch die Menschen, die sakramental gebunden sind, aber geschieden und sich zivil wiederverheiratet haben, dass sie in dem, was das Jahr an Barmherzigem bringt, für ihr geistiges Leben und für ihre Not eine große Hilfe erfahren werden.

domradio.de: Es sind nicht ganz so viele Pilger wie erwartet nach Rom gekommen. Liegt das eher an der Dezentralisierung? Papst Franziskus hat ja heilige Pforten in allen Bistümern der Welt gestattet. Oder liegt das eher an der Furcht vor Terroranschlägen?

Gänswein: Ich glaube, dass beides ein Grund ist. Es ist klar, wenn das Heilige Jahr dezentral gefeiert wird  - und so will es Papst Franziskus  -, dass weniger Menschen nach Rom kommen. In der Tat ist der zweite Grund vor allem für die englischsprachigen Länder eine Erklärung, warum bisher der Pilgerstrom etwas dünn ist.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Quelle:
DR