DOMRADIO.DE: Wie tief sitzt der Schock knapp eine Woche nach dem Amoklauf? Was bekommen Sie aus der Stadt und aus Ihrem Umfeld mit?
Erzbischof Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg): Ich höre hier in der Stadt, aber auch aus den anderen Landesteilen unseres Bistums, dass es ein Thema ist. Vor kurzem gab es dieses Messer-Attentat in einem Zug, wo zwei Jugendliche ums Leben gekommen sind und jetzt diesen Amoklauf in Hamburg mit so vielen Getöteten und so vielen Verletzten. Das bewegt die Leute und flößt ihnen Trauer ein.
Aber es verängstigt sie auch, dass so etwas Schlimmes auch in den Kontexten passieren könnte, in denen sie sich bewegen. Die Leute sind schon tief erschüttert und fassungslos über das, was da mitten in der Metropole vor sich gegangen ist.
DOMRADIO.DE: An der Trauerfeier in Hamburg wird die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas nicht teilnehmen, obwohl sie von den Veranstaltern eingeladen waren. Warum?
Heße: Es gab von Anfang an Gesprächskontakte, aber die Zeugen Jehovas haben keine offizielle Gemeinschaft mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Sie haben gesagt, dass sie ihre eigene Form der Trauer wählen wollen. Das muss man respektieren.
Aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir als Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, als Nordkirche und als katholisches Erzbistum etwas anbieten, was über den Kreis der Zeugen Jehovas hinausgeht.
Denn bei so einem Attentat gibt es immer ganz viele Betroffene, die direkt oder etwas entfernter betroffen sind. Wir müssen auch an die vielen Helferinnen und Helfer, die Retter, die da mit gearbeitet haben, die Notfallseelsorger und alle Menschen, die an dieser Not teil gehabt haben, denken. Sie brauchen auch einen Raum, um ihre Trauer, ihre Fragen, ihren Schock, ihre Enttäuschung ausdrücken und verarbeiten zu können.
Und da denke ich, können wir als christliche Kirche mit unserem Ritual, aber auch mit unseren Gebeten, mit unseren Liedern, mit unseren Gotteshäusern einen Raum zur Verfügung stellen, wo das zum Ausdruck kommen kann.
DOMRADIO.DE: Nun sind die Zeugen Jehovas am Sonntag nicht dabei. Inwiefern ist es herausfordernd, die Gedenkfeier zu gestalten?
Heße: Sie sind nicht als Gruppe dabei, vielleicht kommen Einzelne dazu. Wie gesagt, sie werden eine eigene Form ihrer Trauer finden. Und wir werden Trauer, Fragen, Zweifel und Sorgen so zum Ausdruck bringen, wie das im christlichen Gottesdienst der Fall ist. Natürlich mit biblischen Texten. Auch die Psalmen zum Beispiel bieten da sehr viel.
Aber wir müssen auch Zeichen sprechen lassen. Bei der Trauerfeier für diese Messerattacke habe ich erlebt, wie etwa das Licht der Kerze ein sprechendes Symbol in die Dunkelheit hinein ist.
Die Musik ist ein wichtiger Teil, aber auch das Schweigen und die Stille. Nach dem Gottesdienst wird es sicher auch Begegnungen geben, wo über den Gottesdienst hinaus noch mal die Situation besprochen und in gewisser Weise verarbeitet werden kann.
DOMRADIO.DE: Wie werden Sie sich bei der Gedenkfeier äußern?
Heße: Mir fällt die Begrüßung zu, alles andere wird, wie das hier in Hamburg gut einstudiert ist, zwischen den verschiedenen Gruppen aufgeteilt. Die Bischöfin wird die Ansprache halten, es werden Beteiligte und Betroffene beim Gottesdienst mithelfen, auch unser Notfallseelsorger, der mit dabei war. Er wird bei der Fürbitte und bei den Kerzen mitwirken.
Es wird auch kein Gottesdienst, der mehrere Stunden dauert. Das muss es auch nicht. Vielmehr ist es wichtig, dass die Gefühle, die Sorgen, die Gedanken, eben alles, was uns bewegt, in so einem Gottesdienst vorkommt.
DOMRADIO.DE: Das Bedürfnis der Menschen ist vorhanden, Trost zu finden, sich auszutauschen und zusammen zu sein.
Heße: Ganz genau. Das ist etwas, was hier in Hamburg sehr gut läuft. Wir sind eine multikulturelle Stadt. Wir sind als Christen in einer Minderheit. Die meisten Leute sind hier nicht getauft und gehören auch keiner anderen Religion an. Trotzdem gehören die Kirchen fest dazu.
Die Petrikirche liegt mitten auf der Hauptgeschäftsstraße in Hamburg, auf der Mönckebergstraße. In diese "Innenstadtkirche" gehen auch viele rein und bringen ihre Anliegen zum Ausdruck. Das ist eine evangelische Kirche, in der eine Muttergottes Figur steht, bei der man auch Kerzen anzünden kann, fast wie in einer katholischen Kirche.
Diese Stadt braucht Religion, die Stadt braucht die Kirchen und wir bieten das an, was in so einer Situation dringend notwendig ist.
Das Interview führte Dagmar Peters.