DOMRADIO.DE: Was genau haben Sie denn gemacht als Pflegepraktikant? Haben Sie auch Kaffee und Tee verteilt?
Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Ja, ich habe auch beim Essen verteilen geholfen. Aber ich bin vor allem mit den Pflegenden durch ihre Abteilungen gegangen und habe sie begleitet. Ich habe zum Beispiel Menschen, die dort liegen, auch gewaschen oder rasiert. Ich habe Betten gemacht, Müll und Schmutzwäsche sortiert und auch Menschen in die Betten gehoben. Wir haben uns aber auch zusammen unterhalten. Vor allem habe ich aber mit den Alten und den Pflegenden gesprochen, ganz persönlich und auch sehr direkt. Das war für mich eine tiefe Erfahrung von der Größe dieses Dienstes und an der Würde des Menschen.
DOMRADIO.DE: Wie haben denn die Seniorinnen und Senioren reagiert, als da nicht die Pflegerin, sondern der Erzbischof im Zimmer stand?
Koch: Zunächst einmal sind wir immer zu zweit in die Zimmer gegangen. Natürlich haben es nicht alle mitbekommen, wer ich war, aber viele schon. Unabhängig davon habe ich gespürt, wenn sie zum Beispiel ein Lächeln schenken, wie dankbar die alten Menschen sind – das ist mehr als eine Geste, das ist ein Stück Menschenwürde, die man erfährt. Für mich war es ergreifend, dass ich einer alten Frau die Füße gewaschen habe. Das hat mich sehr an Gründonnerstag erinnert, bloß dann wasche ich gesunde Füße. Heute habe ich ganz kranke Füße gepflegt. Dass wir als Christen und als katholische Kirche diese Häuser halten und mit Würde die Menschen pflegen, zeigt im Grunde, dass uns das Leben so viel wert ist und genau dieser Mensch so viel wert ist – auch wenn er krank und alt ist, leidet und stirbt.
DOMRADIO.DE: Und inwieweit sind Sie mit dem Pflegepersonal ins Gespräch gekommen?
Koch: Für mich war sehr auffallend, dass ich nur zufriedene Pflegende getroffen habe. Ich habe zwar viele gehört, die von den Arbeitsbedingungen her ihre Sorgen geäußert haben. Das fängt beim Schichtdienst an, dazu kommen die körperlichen Anstrengungen, der Erwartungsdruck, die fehlende Zeit und die nicht gute und begrenzte Bezahlung und Qualifikationsmöglichkeit. Ich habe aber keinen Pfleger und keine Pflegerin getroffen, die in dem Beruf unzufrieden war. Sie haben bei allen Belastungen einen glücklichen und frohen Eindruck gemacht. Sie bekommen die Liebe der Menschen zurück, die sie selber verschenken.
Natürlich habe ich auch an politische Dinge gedacht. Der Pflegemangel ist groß – wir müssen uns einiges überlegen. Wir müssen uns fragen, was uns die Pflege wert ist und wie viel wir finanziell investieren. Das heißt, wir werden in die Gehalts- und Arbeitszeitfrage einsteigen müssen, sowie die Frage zulassen, warum so viele Pflegekräfte ihre Tätigkeit aufgrund der Erschöpfung aufgeben. Ich habe aber, wie gesagt, vor allem die glücklichen Menschen in ihrem Beruf gesehen, das erlebe ich in vielen Berufen, auch in der Kirche, nicht so.
Dass genau diese Berufe so schlecht bezahlt werden, ist ein Skandal, das muss so nicht sein. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Altenheime auch immer mehr kommerzialisiert werden, sich also immer mehr privatwirtschaftlich gewinnorientiert ausgerichten. Man spart an den Schwachen, das darf nicht weiter passieren. Es handelt sich um die Würde des Menschen und auch um die Würde einer Gesellschaft, dass wir diesen Dienst hochhalten.
DOMRADIO.DE: Die katholische und auch die evangelische Kirche haben in ihrer Trägerschaft viele Altenheime und Seniorenheime. Wie gehen sie mit gutem Beispiel voran?
Koch: Wir tun das Unsere und versuchen, bezahlungsmäßig natürlich das zu geben, was wir geben können. Es ist trotzdem eine Frage der Pflegeversicherungen an die Politik und eine Frage der gesetzlichen Vorschriften. Wir werden in unseren politischen Gesprächen darauf drängen, dass auch dieser Teil besser honoriert wird. Das ist aber eben auch nur ein Teil. Es geht um Wertschätzung und Anerkennung, allein von der Beschreibung werden sie oft als kleine Dienste angesehen. Das ist absolut nicht der Fall.
Das alles gilt im Übrigen auch für die häusliche Pflege, das ist mir genauso deutlich geworden. Wir müssen uns als Kirche auch dafür einsetzen. Wir müssen in die Pflege von alten Menschen in den Familien genauso viel investieren, wie für die Betreuung und Erziehung der kleinen Kinder, die wir ja auch maßgeblich unterstützen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.