DOMRADIO.DE: "Ist Fußball Religion?" - unter dieser Überschrift stand am Montag Abend eine Podiumsdiskussion in Berlin, an der sie teilgenommen haben - gemeinsam mit dem Dekan der evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Uni, Christoph Markschies und dem Präsidenten des 1. FC Union Berlin, Dirk Zingler. Wie bewerten Sie die Frage?
Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Meine feste Überzeugung ist: Fußball ist keine Religion. Im Fußball geht es um Bedingtes, in der Religion geht es um Unbedingtes. Natürlich war in der Geschichte bei den Azteken und Griechen der Sport auch Religion. Der Boden wurde getränkt mit dem Blut, es wurden Menschenopfer gebracht. Das ist weit vorbei.
Aber es gibt natürlich gemeinsame Richtlinien, Ziele und Bestrebungen. Ein Beispiel: Der Fußball hat mit Leben zu tun, mit Begrenztheit, mit Freude, mit Leid, mit Glück, mit Zufall, mit Unabwägbarem. Das sind Dimensionen des Lebens. Sepp Herberger hat das schön gesagt: "Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten und am Anfang steht es 0:0." Das sind Lebensweisheiten, die im Grunde auch für uns Weisheiten über den Menschen und damit auch über Gott und den Menschen ausdrücken. Ich sehe da also eine innere Konsistenz - ohne, dass ich eins mit dem anderen auf eine Ebene stellen oder vereinnahmen möchte.
DOMRADIO.DE: Sie haben am Montag unter anderem mit dem Präsidenten des 1. FC Union Berlin diskutiert. Sieht der das Thema genauso oder kommt er aus einer anderen Richtung?
Koch: Er sieht das sicherlich auch sehr stark distanziert. Aber er hat auch klar gesagt: Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, das ist der Mensch! Wir haben die Verantwortung, für den Menschen Heimat und Zugehörigkeit erlebbar werden zu lassen.
Ich meine auch: Eine gemeinsame Verantwortung für den Menschen haben wir auf jeden Fall! Richtig finde ich von ihm auch, zu sagen: "Man sollte das nicht alles schnell in einen Topf werfen. Denn es sind wirklich zwei Welten." Für uns als Christen hat allerdings jeder Lebensbereich auch mit Gott und den Menschen zu tun.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn nicht trotzdem die Gefahr, dass der Fußball für die richtigen Fans zu einer Art Ersatzreligion wird?
Koch: Er hat religiöse Aspekte und natürlich kommen religiöse Klänge vor. Aber zweifelsohne sind das zwei Wirklichkeiten. Ich bin bei Union Berlin auch am Vorabend von Heiligabend gewesen, habe dort an dem Gottesdienst im Stadion mit 29.000 Zuschauern mitgewirkt. Auch da wird deutlich: Es gibt Berührungspunkte – das Leben, die Sehnsüchte des Lebens und die Gemeinschaft der Menschen. Aber der Fußball ist damit keine Religion.
Es gibt auch religiöse Elemente, etwa in der Dramaturgie, in der Gemeinschaftsgestaltung. In dieser Hinsicht können wir vom Fußball viel lernen. Auch das war in der Diskussion ein wichtiger Punkt: Was kann die Kirche vom Fußball lernen – auch hinsichtlich der Klarheit und Einfachheit von Botschaften, die uns oftmals im Glauben nicht mehr gelingt oder hinsichtlich der Vorbilder und Ideale. Es gibt vieles, was wir voneinander lernen können.
DOMRADIO.DE: Was können wir uns denn als Kirche ganz konkret vom Fußball abgucken?
Koch: Religion muss immer auch Erlebnis sein. Wir müssen die Liturgie wieder dramaturgischer gestalten, in allen Höhen und Tiefen, mit allen Farben und Formen. Wir müssen schlicht und ergreifend lernen, die Botschaft mit ganz einfachen Worten zu sagen und nicht zu differenziert anfangen. Und wir müssen mehr Gemeinschaftserlebnisse in der Kirche bilden. Sonst wird das mit der Weitergabe der Glaubensinhalte schwierig.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Deutschlandspiel gegen Mexiko am Sonntag erlebt?
Koch: Ich habe es nicht verstanden, dass eine Mannschaft mit diesen Talenten so konzeptlos mit so viel Unachtsamkeiten in der Abwehr und so ideenlos nach vorne spielt. Was ist da passiert in den letzten drei Spielen?
DOMRADIO.DE: Und Ihr Tipp - wer wird Weltmeister?
Koch: Ich bleibe dabei, dass wir uns steigern und dass Deutschland immer eine große Rolle spielt, weil alle Großen ja bisher nicht überzeugt haben. Gucken Sie sich die Ergebnisse an: Alle Großen haben Unentschieden gespielt, verloren oder mit Ach und Krach gewonnen. Das Rennen ist also noch völlig offen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.