domradio.de: Herr Erzbischof, Bedauern und Bestürzung allerorten. Was kann und muss denn auf diese ersten Reaktionen jetzt konkret folgen?
Erzbischof Schick: Zunächst muss man die Opfer wirklich beweinen, wie es Papst Franziskus gesagt hat und auch den Angehörigen Trost zusprechen, das ist das Erste.
Aber wir müssen dieses ganze Flüchtlingsdrama, das wir in der Welt haben, zu beseitigen versuchen. Und das Drama hat verschiedene Wurzeln, man muss bedenken, es sind derzeit 15 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Wurzeln sind Krieg, Hunger, unerträgliche Lebensbedingungen. Wir müssen vielmehr in der Entwicklungshilfe tun, um Kriege zu beseitigen, um Hunger zu stillen, um Krankheiten zu überwinden, um Lebensverhältnisse zu schaffen, in denen Menschen leben können. Das ist möglich. Wir investieren viel Geld in Waffen und Armeen, wir müssen viel mehr in Friedensinitiativen investieren, wir müssen den Hunger beseitigen und Krankheiten überwinden.
Konkret ist es unbedingt nötig, die Schlepperbanden ausfindig zu machen und ihnen das Handwerk zu legen, denn die sind eine Ursache für diese Katastrophen, sie beuten die Menschen aus, nehmen ihnen alles Geld weg, das sie mühsam gespart haben, und bringen sie dann auf Schiffe, die lebensgefährlich sind und wo viele Menschen sterben. Lampedusa jetzt mit den über 130 Toten ist ja nur ein Signal für tausende Tote, die auf dem Meer umgekommen sind! Wir müssen auch in Libyen, Syrien, überall dort, wo Menschen sich absetzen, um nach Europa zu kommen, versuchen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und ihnen zu sagen, wie gefährlich das ist.
Hier bei uns müssen wir auch etwas tun. Wir müssen gastfreundlicher werden, den Menschen die fliehen und zu uns kommen, offener entgegentreten. Wir dürfen nicht die Schiffe im Meer lassen vor Italien oder auch vor Griechenland, weil wir eher abwehren und deshalb die Menschen dann auch auf diesen Schiffen umkommen. Und wir müssen natürlich auch das Schengener Abkommen überprüfen, wir können die Lasten nicht den Meeranliegerstaaten wie Italien und Griechenland überlassen. Das muss eine gesamteuropäische Aufgabe werden, das ist ein Prozess, aber wir müssen ihn beginnen!
domradio.de: Was tut die Kirche da schon, und wo könnte sie noch mehr tun?
Erzbischof Schick: Wir machen Lobbyarbeit und versuchen die Politiker zu bewegen, entsprechende Gesetze zu machen, und die Aufnahmebedingungen zu verändern. Wir selber haben viele Caritas-Mitarbeiter, die den Flüchtlingen beratend zur Seite stehen, die bei den Asylbewerberanträgen helfen und helfen, dass sie hier Fuß fassen und sich nach und nach integrieren können. Wir stellen auch Räume zur Verfügung. Die Kirche tut etliches, das ist wichtig. Aber die Hauptverantwortlichen sind unsere Politiker, die natürlich von uns Hilfe bekommen, aber sie haben die Verantwortung.
domradio.de: Was kann man denn in den Herkunftsländern tun, damit die Menschen erst gar nicht in eine so aussichtlose Lage geraten und die Flucht ergreifen?
Erzbischof Schick: Verschiedene Akteure müssen da tätig werden und sie versuchen es ja auch. Wenn wir z.B. über die Millenniumsziele sprechen. Im Jahre 2000 wurden von den reichen Industrienationen diese Ziele formuliert. In denen steht, dass der Hunger halbiert werden muss, und dass es mehr Bildung geben muss, dass jedes Kind bis zum Jahre 2015 mindestens eine Grundschule besucht haben soll. All das ist noch nicht erfüllt. Und wenn die Bundesrepublik von den versprochenen 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe bislang nur 0,38 Prozent gibt, dann ist da noch Spielraum, da muss noch mehr getan werden.
domradio.de: Ein weiteres konkretes Problem jetzt vor Lampedusa war, dass wohl Fischerboote in der Nähe der Katastrophe waren, die Fischer aber aus Angst vor Strafen nicht geholfen haben. Was kann da getan werden?
Erzbischof Schick: Wir müssen die Gewissen schärfen, das ist die Hauptaufgabe der Kirche. Und da geht Papst Franziskus mit gutem Beispiel und klaren Worten voran. Wir müssen die Herzen erweichen und barmherziger werden, auch mehr Sensibilität entwickeln für die Not der Menschen. Wenn die Gesamtatmosphäre besser ist und der Grundwasserspiegel der Humanität bei uns und in Italien besser wird, dann ist auch die Aufnahme der Flüchtlinge leichter, dann wird an der Not der Menschen nicht mehr vorübergegangen. Wir müssen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter viel häufiger ins Spiel bringen und die Menschen lehren, dass sie sich danach richten.
Das Interview führte Daniel Hauser.