Erzbischof Thissen über drängende Probleme im Senegal

Monat der Weltmission eröffnet

Der Senegal, eines der ärmsten Länder der Erde, steht in diesem Jahr im Zentrum der Solidaritätsaktion des Internationalen Päpstlichen Missionswerks missio. Mit einem feierlichen Pontifikalamt hat Erzbischof Werner Thissen den diesjährigen Monat der Weltmission in Hamburg eröffnet. Zuvor sprach der Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Entwicklungsfragen über drängende Probleme im Senegal.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, um den Senegal ist es in den letzten Jahren verhältnismäßig ruhig geworden. Zu Recht?

Thissen: Der Senegal ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Erde. Auf der Liste des Index des menschlichen Entwicklungsstandes der Vereinten Nationen belegt der Senegal den 144. Platz von 169 und steht damit lediglich einen Platz vor Haiti. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Ein Großteil des Landes liegt in der Sahelzone, bleibt der Regen aus, kann es für viele Menschen schnell sehr kritisch werden.



KNA: Führt das zu Fluchtbewegungen - vielleicht auch aus politischen Gründen?

Thissen: Der Senegal ist kein repressiver Staat. Verglichen mit anderen Ländern in Westafrika ist das Land sogar eine bemerkenswert politisch stabile Demokratie. Dennoch sind die sozialen Probleme gravierend. Besonders junge Menschen sind frustriert, weil es kaum wirtschaftliche Entwicklung gibt und sie für sich keine Perspektive sehen. Sie finden keine Arbeit und können keine Familie gründen. Das ist der Grund, warum besonders junge Menschen davon träumen, nach Europa zu gehen. Sie möchten eine Perspektive für ihr Leben und ihre Zukunft.



KNA: 94 Prozent der Senegalesen sind Muslime, Katholiken eine kleine Minderheit von 5 Prozent. Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen den Religionen?

Thissen: Das Zusammenleben von Christen und Muslimen klappt ganz hervorragend. Denn im Senegal gibt es eine lange Tradition der Toleranz und des gegenseitigen Respekts zwischen den Religionen.

Außerdem herrscht im ganzen Land eine gute Beziehung zwischen den Ethnien. Diese gehört zum kulturellen Erbe und macht ein gewisses Einvernehmen innerhalb der Bevölkerung möglich. Sie reguliert Spannungen und hilft, Konflikten vorzubeugen, so dass der Senegal in dieser Hinsicht als vorbildlich gelten kann.



KNA: Wie können die Europäer Einfluss nehmen auf das Wohlergehen der Menschen im Senegal?

Thissen: Der Fisch gehört im Senegal für viele Menschen zur wichtigsten Lebensgrundlage. Aber: Vor den Küsten Westafrikas befinden sich heute schwimmende Fischfabriken internationaler Herkunft. Die senegalesischen Kleinfischer, die in ihren Booten, den Pirogen, noch von Hand die Netze auswerfen, können damit nicht konkurrieren. Deshalb hat der Senegal das Fischereiabkommen mit der EU nach Protesten der Kleinfischer 2006 nicht verlängert. Doch europäische Großunternehmen umgehen dies einfach. Sie suchen sich afrikanische Partner und fischen unter einer afrikanischen Flagge. Dagegen müssen wir als Europäer vorgehen.



KNA: Eines der drängenden Probleme im Land ist die Genitalverstümmelung bei Frauen. Wie ist da die Situation?

Thissen: Im Senegal sind 28 Prozent der Frauen beschnitten. Während es in zentralen und nordwestlichen Landesteilen nur in wenigen Dörfern diese Praktik gibt, ist die Genitalverstümmelung im Süden und Südosten sowie entlang des Senegal-Flusses stark verbreitet.

Diese in der Kultur verschiedener Volksgruppen tief verwurzelte traditionelle Beschneidung hat für die betroffenen Mädchen und Frauen oft schwere gesundheitliche Folgen. In manchen Fällen führt die Genitalverstümmelung sogar zum Tod.



KNA: Wie kann die Kirche, wie kann missio hier helfen?

Thissen: missio unterstützt kirchliche Partner, die die Bevölkerung über die Gefahren dieser Tradition aufklären und auch für die Beschneiderinnen neue Einkommensquellen schaffen. Im Senegal ist die Genitalverstümmelung an Mädchen zwar seit mehr als zehn Jahren verboten, aber ein Verbot alleine erreicht die Menschen nicht.

Vielfach wird die Beschneidung heimlich durchgeführt. Darum ist es wichtig, die ganze Dorfgemeinschaft und auch die Beschneiderinnen einzubeziehen.



Das Interview führte Sabine Kleyboldt (KNA)