Erzbischof von Tripoli blickt sorgenvoll auf Nahost-Konflikt

"Die Verlierer sind immer Unschuldige"

Der Konflikt zwischen Israel und Hamas bewegt nicht nur die Menschen im Gaza-Streifen. Mit Sorge wird auch ins Nachbarland Libanon geblickt. Erzbischof Joseph Soueif appelliert an beide Seiten und wünscht sich ein Ende des Krieges.

Erzbischof Joseph Soueif / © Johannes Senk (KNA)
Erzbischof Joseph Soueif / © Johannes Senk ( KNA )

DOMRADIO.DE: Aktuell schauen viele Menschen auf den Nahen Osten, auch auf Ihr Land, den Libanon. Dort ist die Situation im Süden an der Grenze zu Israel besonders angespannt. Wie blicken Sie auf die Lage dort?

Joseph Soueif (Syrisch-Maronitischer Erzbischof von Tripoli): Es ist eine sehr kritische Situation, eine böse und gefährliche Lage. Wir hoffen und beten. Wir appellieren an uns selbst und an die internationale Gemeinschaft, ein Ende des Konfliktes und des Krieges, besonders zwischen Israel und Gaza, herbeizuführen. Im Endeffekt sind die Verlierer immer unschuldige Menschen, Kinder und Familien. Wenn man sich gewissenhaft dem Dialog widmet, Gerechtigkeit und Frieden in den Mittelpunkt stellt, dann können Lösungen gefunden werden.

Im Hinblick auf den Libanon hoffen wir gerade im Anbetracht der Lage im Süden, dass sich der Konflikt weiter vermeiden lässt. Der Libanon kann sich diesen Konflikt nicht leisten. Davon ist unsere Geschichte voll genug. Wir beten für den Frieden, wir arbeiten für den Frieden. Kriege produzieren nur weitere Kriege. Nur Dialog, ein erwachsener Dialog, könnte gute Lösungen für alle Seiten hervorbringen.

DOMRADIO.DE: Der Libanon ist in einer schwierigen Lage. Eine schwere wirtschaftliche Krise, Konflikte im gesamten Nahen Osten. Wie ist die Situation in ihrem Erzbistum Tripoli?

Soueif: Wir leben und kämpfen bei uns im Land mit der härtesten Krise der jüngsten Geschichte. Es ist eine Geldkrise, eine ökonomische Krise. Dazu kommt die politische Anspannung. Wir haben keinen Präsidenten, keine funktionierende Regierung. Wir brauchen zunächst einmal einen guten Willen der internen Kräfte im Land, um den Libanon wieder in die Spur zu bekommen. Wir brauchen ebenso die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft - sowohl politisch wie auch ökonomisch. Die Bevölkerung leidet. Die Hälfte der Bevölkerung sind Geflüchtete - aus Syrien, aus Palästina. Stellen Sie sich das vor, wenn in Deutschland die Hälfte der Bevölkerung aus Geflüchteten bestünde. Das ist nicht hinnehmbar. So kann man nicht überleben. Unsere Regierung muss hier ihren Aufgaben nachkommen, Reformen anstrengen und so wieder Vertrauen bei der Bevölkerung und bei unseren internationalen Partnern gewinnen.

Erzbischof Joseph Soueif

"Wir versuchen untereinander solidarisch zu sein."

Wir als Kirche im Lande und bei uns im Erzbistum Tripoli, aber auch die anderen religiösen Institutionen, nicht nur wir Christen, sondern auch die Muslime und die Zivilgesellschaft versuchen derweil die Lücken zu schließen. Wir versuchen untereinander solidarisch zu sein. Gleichzeitig bemühen wir uns, unsere Freunde für die Unterstützung zu gewinnen, damit wir in der Zukunft wieder eine stabile Regierung erhalten, die das Land gut managt.

DOMRADIO.DE: Viele junge Menschen verlassen den Libanon, gerade auch viele Christen. Was ist Ihre Hoffnung, wie Anreize geschaffen werden können, dass diese jungen Menschen im Land bleiben?

Soueif: Das ist in der Tat unsere große Sorge. Es ist verständlich, dass die jungen Menschen für sich eine gute Zukunft suchen, wenn sie diese in der Heimat nicht sehen. Wir versuchen ihnen zur Seite zu stehen. Wir sagen ihnen aber, dass sie ihr Land nicht vergessen sollen und ein Gefühl für dieses Land behalten müssen: 'Wenn Ihr außerhalb des Libanons eines Tages erfolgreich seid, investiert in dieses Land!' Wenn die Bevölkerung das Land verlässt, dann ist das das Ende des Libanons und der Botschaft und der Rolle des Libanons. Und ich spreche hier nicht nur von den Christen, sondern auch von den Muslimen, denn hier im Libanon leben wir zusammen. Das ist ein alltäglicher Dialog. Nicht nur in offiziellen Formaten, sondern ganz alltäglich in den Städten und den Dörfern. Wir haben gemeinsame Anliegen.

In diesem Zusammenhang haben wir gemeinsame Sorgen um unser Schulsystem. Das ist für uns elementar wichtig. Hier muss vieles getan werden. Und hierzu sind wir auch im Gespräch mit unseren Partnern in Deutschland, in Europa und der ganzen Welt. Und hier bin ich auch in Gesprächen mit dem muslimischen Mufti von Tripoli. Wir müssen den Kindern helfen, die auf der Straße sind statt eine Schule zu besuchen. Wir müssen gemeinsam etwas für sie machen. Es zwar nur ein kleines Beispiel, aber ein gutes Beispiel dafür, wie Muslime, Christen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten können für die Schwächsten der Gesellschaft.

Das Interview führte Alexander Foxius.

Hintergrund: Libanon

Das Land am Mittelmeer steckt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Drei Viertel aller Einwohner leben mittlerweile unter der Armutsgrenze. Wegen Treibstoffmangels haben viele Haushalte kaum noch Strom und im Land fehlt es an lebenswichtigen Medikamenten.

Seit der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut im August 2020 ist die Regierung weitestgehend gelähmt. Viele Libanesen werfen der politischen Elite Korruption vor.

Wirtschaftskrise im Libanon spitzt sich zu / © Richard Juilliart (shutterstock)
Wirtschaftskrise im Libanon spitzt sich zu / © Richard Juilliart ( shutterstock )
Quelle:
DR