Es ist Montagnachmittag in San Martin. Jener Mann, der dem Wahlkampf in Argentinien gerade seinen Stempel aufdrückt, kommt in die Kleinstadt in der Provinz Buenos Aires: Javier Milei, radikal-marktliberaler Präsidentenkandidat der libertären Bewegung "La Libertad Avanza", steigt auf die Pritsche eines Jeeps. Mit dabei Schwester Karina, die als wichtigste Strippenzieherin im Milei-Kosmos gilt, Parlamentarierin Carolina Piparo und eine Motorsäge, die zum Symbol dieser Kampagne geworden ist. Mit dieser "Motosierra", die seine Anhänger in Sprechchören fordern, will Milei in Argentinien symbolisch aufräumen. Einige auf dem Jeep tragen Mützen mit der Aufschrift "Mit der Kraft des Himmels".
Vielleicht 400, 500 Menschen sind gekommen; aber die Organisation dieses Tages hat dafür gesorgt, dass es auf den Presse- und TV-Bildern so aussieht, als ob Milei in einer riesigen Menge badet. Milei hat verstanden wie Soziale Netzwerke funktionieren, und seine kleine Kommunikationsabteilung leistet effiziente Arbeit. Eine Rede hält Milei nicht. Dafür ballt er immer wieder die Faust, verteilt Dollar-Noten mit seinem Konterfei, um für die Dollarisierung des Landes zu werben. Genau das ist seine Kernbotschaft an die vom stetigen Werteverlust des argentinischen Peso gebeutelte Nation.
Milei fängt wütende Argentinier ein
Eigentlich ist San Martin eine Hochburg der linksgerichteten Peronisten. Dass es Milei gelingt, hier eine solche Show zu inszenieren, zeigt, welchen Hype seine Person inzwischen auslöst. Milei fängt die Wut und die Wütenden in Argentinien ein, verspricht ihnen via US-Währung, was sie am meisten wünschen: ein Ende der hohen Inflation von 120 Prozent.
Genau das macht einem der wichtigsten Berater von Papst Franziskus Sorgen: "Meine größte Befürchtung ist, dass in Argentinien viele Menschen aus Wut wählen werden und die Gefahr besteht, dass sie noch desillusionierter werden", sagte Erzbischof Victor Manuel "Tucho" Fernandez der Zeitung "La Nacion". Eine solche politische Äußerung ist ungewöhnlich; und selbst wenn Fernandez, der inzwischen als Kardinal an der Spitze der Glaubensbehörde im Vatikan steht, Milei nicht ausdrücklich beim Namen nennt, weiß doch jeder, wer gemeint ist.
Es könnte sich am Ende ein Angebot durchsetzen, so Fernandez, das genau das Gegenteil von dem ist, was die Menschen von der Politik erwarten. Er hoffe, dass bis zu den Wahlen die wesentlichen Elemente einer guten demokratischen Regierungsführung ins Bewusstsein rücken: "Leidenschaft für das Gemeinwohl, Managementfähigkeiten, Teamarbeit, Ehrlichkeit, Respekt für andere und Umsicht bei der Bewertung der Auswirkungen dessen, was man sagt oder tut."
Papstbesuch sei kein Selbstläufer
Viel klarer geht es nicht. Nebenbei bestätigt Fernandez noch einmal, dass ein Papstbesuch in Argentinien, wie eigentlich für das kommende Frühjahr geplant, kein Selbstläufer sei: "Er hatte immer die Befürchtung, dass sein Besuch, statt zu echtem sozialen Frieden beizutragen, zu mehr Spannungen, Komplikation und Konfrontation führen könnte. Es bleibt abzuwarten, wie der Kontext nach den Wahlen aussehen wird", so Fernandez. Eine Reisebestätigung klingt anders.
Milei hatte zuletzt den Papst scharf kritisiert. In einem millionenfach abgerufenen Interview des umstrittenen US-Journalisten Tucker Carlson erklärte Milei, Franziskus unterstütze de facto die brutalen Linksdiktaturen in Lateinamerika, weil er deren Menschenrechtsverletzungen nicht verurteile. Die Armenpriester in Argentinien, traditionell auf der Seite der regierenden Peronisten, veranstalteten daraufhin einen Solidaritätsgottesdienst für Franziskus und gegen Milei.
Doch der bleibt in den Umfragen weiter knapp vorn. Laut der Zeitung "Clarin" würde er eine Stichwahl gegen den Kandidaten des peronistischen Regierungslagers, Sergio Massa, gewinnen. Erst aber muss Milei die Stichwahl erreichen. Und derzeit liegen laut Umfragen Milei, Massa und die konservative Kandidatin Patricia Bullrich fast Kopf an Kopf auf den ersten drei Plätzen. Gewählt wird am 22. Oktober - und in einer wahrscheinlichen Stichwahl am 19. November.