Erzbischof Zollitsch: Wiedervereinigung ist ein Wunder

"Unverhofftes Geschenk"

Emotionales dringt eigentlich selten nach außen, wenn sich die katholischen Bischöfe zu ihren Vollversammlungen treffen.
Auch diesmal haben die 66 Geistlichen in Fulda eine stramme Tagesordnung absolviert, in Kommissionen und Arbeitsgruppen beraten, beschlossen und vertagt. Doch am Donnerstagmittag sind Emotionen spürbar.

Autor/in:
Thomas Winkel und Christoph Strack
 (DR)

Die fünf Bischöfe aus Ostdeutschland erinnern vor wohl ausschließlich in Westdeutschland groß gewordenen Journalisten an die Ereignisse des Herbstes 1989. Vom «Wunder» ist einige Male die Rede. Und als Joachim Reinelt, seit 1988 Bischof von Dresden-Meißen, die Angst des 9. Oktober 1989 vor einer Eskalation der Gewalt schildert, werden Erinnerungen gegenwärtig. Und seine Augen sind feucht.

Dabei verklären die fünf weder die Rolle der katholischen Kirche in den Wendewochen noch ihre damaligen Erwartungen. Berlins Kardinal Georg Sterzinsky (73), im September 1989 zum Bischof von Berlin geweiht, schildert seine Bedenken gegen jegliche politische Veranstaltung in einer Kirche; die evangelische Seite sei da «sehr viel mutiger gewesen». Sein Gedanke am 9. November: «Das Volk hat sich das Recht erobert, in den Westen zu reisen. Dass das zur Einheit Deutschlands führen würde, kam erst in den nächsten Wochen.» Magdeburgs Bischof Gerhard Feige (57) war damals Theologe in Erfurt.
Das DDR-Regime gewährte ihm 1988 zum Studium ein «Gnadenjahr» in Rom, von dem er im August 1989 in den Osten zurückkehrte - «ohne daran zu glauben, dass ich das, was ich erlebt habe, noch einmal wiedersehen werde».

Als die Mauer fiel, ließ er erst mal die anderen rüber; er selbst besuchte Westdeutschland erst im Dezember '89. Was ihm bis heute «immer noch besonders unter die Haut geht», sagt er, seien die ersten freien Wahlen im März 1990 gewesen. «Mein Vater, Jahrgang 1912, hatte schon mal gewählt. Meine Mutter, Jahrgang 1920, noch kein einziges Mal.» Die Wahlbeteiligung lag dann bei über 94 Prozent..

Drei der fünf «Ost-Bischöfe» - neben Reinelt Joachim Wanke (68) aus Erfurt und Konrad Zdarsa (65) aus Görlitz - lebten damals in Erfurt oder im Großraum Dresden, wo das Volk unruhiger war als im kontrollierten Berlin. Und alle haben sie im September 1989 erlebt, wie die Staatsmacht Kontrollen verschärfte, wie Menschen von Sicherheitskräften «durch die Stadt gejagt wurden», dass die Panzer dann doch in den Kasernen blieben. Reinelt schildert auch seine Not, als Volkspolizisten am 7. Oktober im Dresdener Hauptbahnhof schwer verletzt wurden. Wanke berichtet von der Dankbarkeit gegenüber Polen und Johannes Paul II., gegenüber den Ungarn, den Politikern, die auf Eskalation verzichteten. «Ich schäme mich nicht, noch heute von einem Wunder Gottes zu sprechen.»

Zdarsa, damals Pfarrer in der Stahlarbeiterstadt Freital, erinnert sich an den Schmerz, wenn wieder jemand aus der Gemeinde die Ausreise wollte, wenn Ehrenamtliche «sich plötzlich verabschiedeten.
Auf einmal waren die weg.» Und zugleich erinnert er sich an sein Verständnis für diese Entscheidung.

Die fünf schildern auch die ungewohnte Aufgabe, die auf die Kirche plötzlich zukam: Hort der Sicherheit, der Freiheit. Über viele Wochen wuchs ihre Bedeutung, bei Friedensgebeten und Mahnwachen, bei Vermittlungsaktionen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, der die Rolle der evangelischen Kirche hervorhebt, sagt, beide Kirchen hätten der Opposition «Schutz und Schirm» geboten. Nach der Wende seien die Kirchen zu Hoffnungsträgern geworden.

Bis heute ist es noch so, dass die ostdeutschen Bischöfe in der Vollversammlung eigene «Typen» sind. An einem Abend sitzen sie zusammen und besprechen ihre eigenen Themen. Dazu zählen das Engagement für katholische Schulen und auch die Offenheit für Kirchenfernstehende. Die Zahl der Erwachsenentaufen ist gestiegen in Ostdeutschland, berichten sie. Mittlerweile, sagt Bischof Feige, sei jeder fünfte Taufbewerber ein Erwachsener. Das sei ein Phänomen, das es vor dem Fall der Mauer nicht gegeben habe.