DOMRADIO.DE: Sie haben gemeinsam mit Monsignore Markus Bosbach die Nativity Church in Baltimore besucht und von dort Eindrücke mitgebracht, von denen Sie nun im Kölner Priesterseminar berichten. Die USA sind nicht bei allem Vorbild, aber Kirche funktioniert offenbar teilweise besser als bei uns. Lassen Sie uns mit den Gottesdiensten anfangen. Die sind oft wesentlich lebendiger in der Gestaltung als bei uns. Wie haben Sie es empfunden.
Markus Sakendorf-Alz (Hauptabteilung Seelsorge-Personal des Erzbistums Köln): Ich habe sehr lebendige Gottesdienste erlebt in den Nativity Church in Baltimore. Das hatte damit zu tun, dass dort auf eine sehr professionelle Art und Weise Populärmusik mit in den Gottesdienst integriert wird, gemischt mit klassischen, traditionellen Liedern und Gesängen. Außerdem waren viele Menschen integriert. Es war ein Wechselspiel zwischen dem Leiter der Liturgie, dem Priester, und denen, die Musik gemacht haben und das wirklich auf eine sehr zeitgemäße Art und Weise.
Dazu kam noch, dass auch die Technik für sich sprach: An allen Wänden waren Bildschirme aufgehängt und alle Menschen – auch die, die neu und fremd waren – konnten die Lieder mitsingen und die Gebete mitbeten. Es fühlte sich meines Erachtens keiner ausgeschlossen. Keiner hatte eine Scham mitzumachen und direkt mitzubeten und mitzusingen.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, das ist auf uns in Deutschland übertragbar oder sind wir dafür zu steif?
Sakendorf-Alz: Nein, ich glaube keineswegs, dass wir zu steif sind. Wir haben ja verschiedene Beispiele, in unseren Pfarreien hier im Erzbistum Köln aber auch in anderen Bistümern Deutschlands. Ich denke, wir müssen uns einfach nur trauen, Neues auszuprobieren. Um jüngere Generationen wirklich zu begeistern, ist emotional ansprechende, populäre Musik etwas Bedeutsames. Damit können wir, glaube ich, viel bewegen und Jesus Christus und Gottes Geist in die Bewegung integrieren. Das ist zentral.
DOMRADIO.DE: Entscheidend für einen Verbleib in der Kirche oder für den Zukunftsweg der Kirche ist ja häufig das gute Gefühl, das man mit Kirche verbindet und nicht alleine der Glaube. Bei uns ist das oft eine Art Tabuthema. Spricht man in den USA mehr darüber?
Sakendorf-Alz: Die Sprachfähigkeit der Amerikaner, was den Glauben betrifft, ist sehr groß. Das hat natürlich auch kulturelle Gründe. Man spricht in Amerika viel mehr über den Glauben, über Religion. Man sagt "God bless you!", fragt jemanden: "Was glaubst Du denn" oder "Wie glaubst Du?" oder "Was bedeutet Dir Jesus, wo führt er Dich hin?" Das alles wird ganz öffentlich ins Gespräch gebracht. Das hat natürlich auch eine emotionale Variante. Das ist schon etwas, was Monsignore Bosbach und ich uns dort abgeguckt haben, dass diese Sprachfähigkeit des Glaubens sehr stark war und auch sehr freundlich.
DOMRADIO.DE: Wird auch Gastfreundschaft in Gottesdiensten besonders groß geschrieben?
Sakendorf-Alz: So wie ich Amerikaner kennengelernt habe, wird Gastfreundschaft sehr groß geschrieben. Die Willkommenskultur, auch in Baltimore, ist eine ganz entschiedene. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Grund des Wachstums dieser Gemeinde. Die Willkommenskultur ist in jeder Phase und in jeder Faser dieser Gemeinde zu spüren - auf dem Parkplatz, bei der Begrüßung an der Tür, bei der Begrüßung im Gottesdienstraum, in den Kleingruppen, die es jede Woche für jede Altersgruppe gibt. Überall wird man sehr freundlich begrüßt und es ist sehr angenehm, dort zu sein. Wir fühlten uns, obwohl wir in der Gemeinde selbst nur vier Tage waren, wirklich fast schon wie ein Teil des Ganzen.
DOMRADIO.DE: Was könnten deutsche Gemeinden sich denn kurzfristig von den USA abgucken, um einen Schritt in Richtung pastoralen Zukunftsweg zu gehen?
Sakendorf-Alz: Der pastorale Zukunftsweg eröffnet ja viele kreative Chancen. Eine Möglichkeit ist es, einen geistlichen Weg zu gehen, auch kleine Gruppen zu bilden und darin sprachfähig zu werden, über den Glauben zu sprechen, gerade wie es mir auf dem Herzen liegt. Das Zweite ist, die Willkommenskultur zu kombinieren mit Musik und damit zu locken und zu begeistern. Das ist etwas, was wir wirklich lernen und ausbauen können.
Das Interview führte Tobias Fricke.
Information:
Die Church of Nativity in Baltimore, Maryland, wurde bekannt durch das sogenannte REBUILT-Programm, aus dem u.a. das Buch REBUILT auch in deutscher Übersetzung vorliegt (REBUILT - Die Geschichte einer katholischen Pfarrgemeinde: Gläubige aufrütteln - Verlorengegangene erreichen - Kirche eine Bedeutung geben. ISBN-10: 3950425004).
In dem Buch beschreiben Pfarrer Michael White und Pastoralassistent Tom Corcoran den Weg Ihrer Gemeinde vom ständigen Rückgang der Gläubigen zu neuem Wachstum.