domradio.de: Das alte Gotteslob ist fast 40 Jahre alt, jetzt kommt das neue – nach 11 Jahren Vorbereitungszeit. Wie schafft man es denn, dass im neuen Gotteslob genau die Lieder stehen, die die Gemeinde braucht, und dass man keines streicht, was die Menschen dann später bedauern würden?
Richard Mailänder: Das kann ich nicht garantieren. Ich kann nur sagen, dass wir versucht haben, die Sache möglichst breit anzulegen. Wir haben im Jahr 2003 eine Gotteslob-Umfrage gemacht, es sind alle Zuschriften ausgewertet worden, es sind viele Artikel erschienen. Wir haben alle Gesangsbücher durchgearbeitet und überall geguckt, was es an Gemeinsamen gibt, was auch qualitativ ansprechend ist. Ich bin sicher, dass wir nicht alle Wünsche erfüllt haben, auch nicht alle meine Wünsche. Aber ich glaube, dass wir einen guten Querschnitt getroffen haben, der breit rezipiert werden wird, und ich bin zuversichtlich, dass wir doch 80-90% der Wünsche erfüllen.
domradio.de: Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptunterschied des neuen zum alten Gotteslob?
Mailänder: Zunächst die Gliederung: Das fällt sofort auf. Die Optik ist komplett anders, sie ist freundlicher, obwohl man aus heutiger Sicht auch sagen muss, das Layout des Gotteslobs von 1975 war ein großer Wurf. Aber jetzt hat sich doch einiges geändert. Und inhaltlich ist vieles anders: Einfach dadurch, dass wir wieder 40 Jahre weiter sind, gibt es neue Lieder, die alten Lieder werden reflektiert. Jede Generation lehnt im Grunde genommen prinzipiell erst einmal das ab, was die Vorgängergeneration gemacht hat. So findet man z.B. im 1975er Gesangsbuch wenig aus dem 19. Jahrhundert, weil man das alles damals als zu gefühlsmäßig empfunden hat. Das findet sich jetzt aber im neuen Buch wieder. Ich hoffe, dass wir möglichst wenig blind waren für die Generation vor uns, dass wir die auch angemessen vertreten haben. Die Erfahrung wird zeigen, ob wir da wirklich richtig liegen.
domradio.de: Über 3.000 Lieder wurden geprüft, wurden genauer angeschaut. Am Ende sind noch nicht einmal 300 Lieder, also weniger als 10% im neuen Gotteslob gelandet. Wie schwierig ist die konkrete Entscheidung für oder gegen ein Lied?
Mailänder: In dem Fall, in dem es wirklich kein gutes Lied ist, angenommen Wort und Ton passen nicht zusammen oder wenn die logischen Aussagen nicht stimmig sind, dann ist es relativ einfach Nein zu sagen. Aber ich denke, Ihre Frage zielt auf die Grenzfälle ab: Ein ist Lied gut und das Wort-Ton-Feld stimmt, warum nehmen wir das nicht mit hinein? Das hängt sehr davon ab, in welche Rubrik es gehört. Wenn Sie einen Bereich wie „Weihnachten“ haben, dann müssen Sie einfach auch Erwartungshaltungen erfüllen, also Lieder, die gern an Weihnachten gesungen werden. Die können Sie den Leuten nicht wegnehmen. Also gibt es da wenig Spielraum. Haben Sie Bereiche, in denen es viel Spielraum gibt, wie z.B. die neue Rubrik „Die himmlische Stadt“: Da können Sie eine Reihe von Liedern einsortieren, bei denen Sie überzeugt sind, die sind neu, die passen, kann man machen. Die Proportionen spielen eine wichtige Rolle ‑ neben dem persönlichen Geschmack.
domradio.de: Dann gibt es eine Reihe von Begleitpublikationen. Wie entscheidet man überhaupt, welche Publikation man jetzt braucht? Es gibt ja auch ganz Neues, wie z.B. das Klavierbuch.
Mailänder: Die Entscheidung für das Klavierbuch hat die Unterkommission "Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch" der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz getroffen, und im Erzbistum Köln haben wir uns dem nur angeschlossen. Das ist ein Versuch, die Erfahrung zeigt, dass es verstärkt Gottesdienste gibt in Schulen, in Altenheimen oder in sonstigen Kreisen, wo es keine Orgel gibt, aber ein Keyboard oder Klavier. Und man hat überlegt, es wäre hilfreich, auch da eine klangliche Wirklich zu schaffen, die den Gesang unterstützt. Und das hat man nun probiert, wir werden sehen, ob das gelingt, ich kann es auch noch nicht sagen.
domradio.de: Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen? Auf der einen Seite Komponisten für neue Lieder oder Liedsätze, dann gibt es die Bischöfe, die da mitentscheiden, und mittendrin noch die Kirchenmusiker, die das Buch schließlich den Leuten an der Basis näherbringen müssen– wie war dieses Zusammenwirken, wie muss man sich das vorstellen?
Mailänder: Die erste Gruppe, die Komponisten, kann man ein bisschen außen vor lassen, die anderen natürlich nicht. Die Gemeinde – die haben Sie noch vergessen – ist natürlich der wesentliche Adressat. Kirchenmusiker wie Theologen wie auch Bischöfe haben ein Interesse an einem Buch, mit dem sie beten können ‑ im Rahmen dessen, was die Kirche lehrt, aber auch möglichst aktiv, möglichst unter Beteiligung aller. Das heißt, man macht kein elitäres Buch, man macht auch nicht viele Experimente, sondern ein Buch, von dem man glaubt, das kann Anklang finden. Obwohl manche Stücke auch schon etwas „abgehangen“ sind, so dass man sagen kann, sie sind reif. Würde man z.B. ein Buch für ein Bistum machen, dann könnte man viel experimenteller vorgehen, man kann Komponisten fragen: Schreibst Du mal so oder so ein Stück? Hier ist man eher hingegangen und hat nach Sachen gesucht, die sich bereits bewährt haben, um eine möglichst hohe Akzeptanz zu finden.
domradio.de: Das ist ja noch die Frage. Es heißt ja oft, der Gemeindegesang ist nicht so stark, die Gemeinde traut sich nicht richtig zu singen – Glauben Sie, das neue Gotteslob hat das Potenzial, die Gemeinden zum aktiven Gesang zu bewegen?
Mailänder: Ich kann mit gutem Gewissen sagen: Wenn nicht hiermit, wüsste ich nicht, womit! Also ja.
domradio.de: Jetzt geht es ja auch darum, dass das Buch von den Gemeinden akzeptiert. Nach 40 Jahren nun ein neues Buch. Welche Empfehlung haben Sie denn an die Kollegen, wie sie das Buch am besten der Gemeinde näherbringen können?
Mailänder:. Ich glaube, man sollte es mit offenem Herzen durchblättern. Man wird genügend finden, woran ein jeder Spaß haben wird, wo man Freude daran hat, es zu machen. Der nächste Schritt wäre, sich möglichst gut zu informieren über die Lieder und ihre Herkunft, über die Gesänge und Autoren, um mehr Basiswissen zu bekommen, um das auch transportieren zu können. Und sich die Sachen natürlich auch so anzueignen, dass man es anderen vortragen kann.
domradio.de: Jetzt ist das Buch nach 11 Jahren fertig. Wie groß ist die Erleichterung, jetzt da das Produkt auslieferbar ist?
Mailänder: Da ist ein Stück Trauer drin, ich habe noch nie in meinem beruflichen Leben eine Phase gehabt, in der ich so viel gelernt habe, in der ich so viele neue Eindrücke gewonnen habe, in der so viele Einstellungen, die ich zu einzelnen Texten und Liedern hatte, über den Haufen geworfen wurden, weil ich bessere Informationen, neue Erkenntnisse gewonnen habe. Da ist z.B. die Frage: Wie gehe ich mit alten Texten um? Nehme ich sie ernst oder nicht? Versuche ich, sie zu sprachlich aktualisieren? Ich war halt auch der Auffassung, die Sprache im Gesangsbuch muss zeitgemäß sein, und habe entdeckt, dass man das schon 1975 vielfach probiert hat, indem man einzelne Worte ausgetauscht und dabei eine Sprache geschaffen hat, die nicht besser ist als die Originalsprache. Das merkt man im Jahrzehnt des Entstehens nicht, aber im Abstand von 30 Jahren denkt man: Was soll das denn? Diese Peinlichkeiten wollten wir uns ersparen, so dass wir gesagt haben: Lieber ein Lied ganz herausnehmen, wenn man nicht überzeugt ist, als zu versuchen zu verbessern, was man eigentlich gar nicht besser machen kann. Und da gibt es ganz viele Beispiele, wo ich gelernt habe: Lieber so stehen lassen, wie es war, lieber auch einmal mit einem Text anzuecken, als den einfach „weichzuspülen“. Was den Inhalt anbelangt, tröstet mich die ganzen Jahre, dass ich ganz sicher, dass in 30, 40 Jahren ein neues Buch gemacht werden wird, das vielleicht besser sein wird. Das Gotteslob von ’75 hat man mit bestem Wissen und Gewissen gemacht, und da sind 50% der Lieder herausgeflogen; das wird in 30, 40 Jahren auch wieder der Fall sein müssen, einfach um Platz für Neues zu haben.
domradio.de: Was wünschen Sie dem einzelnen Gläubigen, der sich dieses Buch kauft?
Mailänder: Dass er in diesem Buch beim Durchblättern etwas findet, das seinen Glauben stärkt, das ihn zum Gebet mit der Kirche und in der Kirche führt, das seine Existenz ernst nimmt, so dass er sich ernstgenommen fühlen kann und er auch andere stärken kann – im Glauben, im Beten, im Singen.
Das Interview führte Mathias Peter.