Psychologe: Sicht auf Corona-Pandemie hat religiöse Züge

"Es entwickelt sich kein richtiges Gespräch"

​Vernunftbasierte Gespräche über die Corona-Pandemie sind nach Einschätzung des Psychologen Wolfgang Krüger nur selten möglich. Wie lassen sich politische Diskussionen im Alltag vermeiden?

Die Pandemie bringt viele Meinungsverschiedenheiten mit sich / © Irene Castro Moreno (shutterstock)
Die Pandemie bringt viele Meinungsverschiedenheiten mit sich / © Irene Castro Moreno ( shutterstock )

Das Thema sei "mit einem Grad an Aufregung und Emotionalität verbunden, der meines Erachtens mit dem von Religionen zu vergleichen ist", sagte Krüger der "Welt" (Samstag). Er selbst spreche mit Freunden, die in dieser Hinsicht andere Überzeugungen hätten, nicht über Corona: "Ich habe den Eindruck, dass es nichts bringt. Man tauscht Argumente aus, es entwickelt sich aber kein richtiges Gespräch."

Wer politische Diskussionen vermeiden wolle, könne das Gegenüber auch fragen, wie momentan die Freizeit verbracht werde, welche Ziele es gebe oder wie derjenige mit Krisen umgehe. Generell sprächen die Menschen seit etwa zwei Jahren insgesamt deutlich mehr über Politik, so der Psychotherapeut: "Es geht um Corona, um die Klimakatastrophe, die US-Wahl."

"Die Herzensfreundschaften werden wichtiger"

Typisch für die derzeitige Krisensituation sei eine Tendenz des Rückzugs. Viele konzentrierten sich stärker auf Familie und Partnerschaft, sagte Krüger. "Aber auch die Herzensfreundschaften werden wichtiger - also die Freundschaften, bei denen man wirklich das Bedürfnis hat, zu erfahren, wie es einander geht." Die meisten Menschen pflegten ihre "zwei, drei Herzensfreundschaften" derzeit mehr als sogenannte Alltagsfreundschaften, die eher wegen eines gemeinsames Hobbys bestünden.

Mit nachhaltigen Veränderungen durch die Pandemie rechne er nicht, fügte der Psychologe hinzu. "Wir verändern uns dann, wenn wir etwas selbst wollen, von innen heraus. Oder wenn Dinge eine große emotionale Bedeutung haben, zum Beispiel eine schwere Krankheit." Dies sei im Bezug auf die Gesellschaft derzeit weniger gegeben: Corona "lässt uns nur die Luft anhalten und hoffen, dass es bald vorbei ist".


Quelle:
KNA