DOMRADIO.DE: Haben sich die Bischöfe im Zweiten Weltkrieg denn im Großen und Ganzen so verhalten, wie man es heute von ihnen erwarten würde, nämlich Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu leisten? Wie haben sich die Bischöfe verhalten?
Dr. Christoph Kösters (Historiker, Kommission für Zeitgeschichte): Wenn man die Hirtenbriefe zum September 1939, zum Kriegsbeginn anschaut, dann halten sie sich relativ zurück mit patriotischen Begeisterungsstürmen, wie sie noch von 1914 her bekannt waren. Sie reden auch nicht mehr davon, dass der Krieg gerecht ist, fordern aber zu Pflicht und Gehorsam auf. Im Laufe der weiteren Jahre bis 1943 etwa spitzt sich ja in Deutschland auch die Kirchenverfolgung nochmal zu.
Es kommt innerhalb der Bischofskonferenz, das wissen wir aus den Quellen schon seit Jahren, zu einer Krise. Es geht um eine Strategiefrage, nämlich: Sollen wir gegen die Verletzungen und die Verfolgung der Kirche offen protestieren? Oder sollen wir weiterhin Eingaben an die Regierung Hitler einreichen? Die Bischöfe entscheiden sich dann nach einem schweren inneren Konflikt gemeinsam für ein Hirtenwort, das im August 1943 dann die Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker, wenn man so will, als Wertegrundlage jeder staatlichen Ordnung einfordert. Das ist ein sehr bemerkenswerter Prozess und ein noch bemerkenswerteres Wort, würde ich sagen.
DOMRADIO.DE: Es gab auch Zwangsarbeit in kirchlichen Einrichtungen. Wie war dort die Dimension?
Kösters: Die Zwangsarbeit ist ein wichtiger Punkt, der uns darauf aufmerksam macht, dass die Kirche Teil der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft war. Dieses Thema und diese Frage ist 2000 aufgekommen und hat uns eigentlich vor allen Dingen den Blick nochmal geweitet für die Opfer, mit denen die Kirche und die Bischöfe in Berührung kamen. Wir haben seinerzeit mit allen Diözesanarchiven in Deutschland eruiert, wie viele Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen tätig waren, und sind etwa auf 5.000 bis 6.000 gekommen. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Das Ziel dieser ganzen Forschungen damals war natürlich auch, den Weg der Versöhnung mit den noch überlebenden Zeugen zu suchen.
Historisch wichtig ist, dass es ein Indiz für die Verstrickung - wie das Bischofswort jetzt sagt - der katholischen Kirche und der Bischöfe in die nationalsozialistische Kriegsgesellschaft war. Man sollte vielleicht auch nicht vergessen, dass es auch Zeichen humanitärer Fürsorge und Caritas gegeben hat, so wie Kriegsgefangenenhilfe. Denken Sie an die vielen Sanitätssoldaten, die zugleich Priester waren und Verwundete gepflegt haben – und so weiter.
Wichtig wäre mir auf etwas aufmerksam zu machen, was uns heute ganz verloren gegangen ist. Nämlich, dass der Krieg der Soldaten im Zweiten Weltkrieg nicht nur durch Patriotismus, durch nationale Begeisterung und durch den Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus bestimmt war, sondern dass es auch eine religiöse Sinnstiftung des Krieges gab, dass die Kirche, die Bischöfe, wenn man so will, eine geistige Ressource geliefert haben. Das sind so Stichworte wie Pflicht, Gehorsam, christliche Bewährung, Ertragen des Leids oder "der gerechte Krieg". Solche Dinge sind uns heute fremd, und die sind inzwischen auch neu wissenschaftlich aufgearbeitet worden.
DOMRADIO.DE: Inwiefern konnte die Kirche die Opfer des Krieges auffangen?
Kösters: Sie hat sich natürlich den Opfern zugewendet. Das betrifft zum Beispiel die Kriegsgefangenen oder auch den Sanitätsdienst in Lazaretten. Was im Blick auf die Opfer auch zu sagen ist, ist, dass es nicht nur Opfer in der Zwangsarbeit gab, wo es Zuwendungen von Schwestern oder Zuwendungen in Krankenhäusern gab, sondern dass es auch Opfer an der Front gab. Wir müssen uns vorstellen, dass zum militärischen Dienst auch Kriegspfarrer eingezogen waren – sogenannte Priestersoldaten. Das waren Kapläne, die in der Pfarrei sonst tätig waren, die zum Sanitätsdienst einberufen wurden. Es gab auch Theologiestudenten in großer Zahl, die zum Dienst mit der Waffe eingezogen worden sind.
Das Entscheidende ist, dass für diese an der Front in irgendeiner Form tätigen Kleriker im Grunde diese religiöse Sinnstiftung, die die Bischöfe und die Kirche bereit hielten, auseinander klappte mit den Erfahrungen, die sie selber an der Front machten. Man könnte auch sagen, dass die Bischöfe mit ihren Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Krieges hier an Grenzen stießen.
DOMRADIO.DE: Was können die Bischöfe heute aus dieser schwierigen Zeit des Zweiten Weltkrieges für die heutige Zeit herausziehen?
Kösters: Ja, das heutige Wort der Bischöfe macht deutlich, dass sie sich doch deutlich distanzieren von ihren Vorgängern und auch deutlich erkannt haben, wie sehr die Bischöfe damals mit ihrem Denken und ihrer Sprache den Krieg legitimiert haben. Das ist mit dem christlichen Evangelium, wie wir es heute verstehen, und der christlichen Botschaft nicht vereinbar.
Das Interview führte Dagmar Peters.