DOMRADIO.DE: Sie waren es leid, dass sich ein Negativimage aufbaut. Welche Reaktionen haben Sie bisher auf diese Erklärung "Bautzen gemeinsam" bekommen?
Pfarrer Christian Tiede (Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde St. Petri in Bautzen): Wir haben zum einen - Stand heute Morgen - über 8.000 Unterschriften. Das ist schon mal sehr, sehr schön. Wir haben aber auch viele Kommentare, viele E-Mails von Menschen erhalten, die gesagt haben: "Schön, danke, dass ihr so etwas macht, dass endlich andere Bilder, andere Nachrichten aus Bautzen kommen."
Das ist, glaube ich, für die Menschen, die ihre Unterschrift geben konnten, ein sehr ermutigendes Signal gewesen.
DOMRADIO.DE: "Bautzen gemeinsam" ist der Titel dieser Erklärung. Wie steht es denn um die Gemeinsamkeit in Bautzen?
Tiede: Das ist das große Problem, denke ich. Es gibt auf der einen Seite montags immer wieder diese Proteste, die inzwischen zunehmend radikal werden. Am vergangenen Montag war ein starker rechtsradikaler Block an diesen Protesten beteiligt und Menschen, die sich auf den Markt stellen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren.
Das ist tatsächlich ein Riss, der dort durch die Gesellschaft geht. Auf der anderen Seite muss man immer wieder sagen, dass das eine laute, aber doch eine Minderheit ist. Und wir merken gerade, dass offenbar eine Mehrheit der Bevölkerung darauf gewartet hat, natürlich sehr viel stiller, aber doch eine Stimme zu bekommen und ihre eigene Stimme geben zu können und sei es mit einer leisen Unterschrift.
DOMRADIO.DE: In diesem Text steht ja auch, dass sich ein Großteil der Menschen in der Region vernünftig, solidarisch und empathisch verhält. Aber warum sind es trotzdem so viele in Bautzen, die das eben nicht tun?
Tiede: Wir hatten in den vergangenen Jahren durch verschiedene andere Themen immer wieder Proteste hier in der Innenstadt, sei es die Flüchtlingskrise vor fünf Jahren, sei es eine Affinität für Verschwörungserzählungen und so weiter und so weiter. Es gibt hier eine Gruppe an Menschen, die das immer wieder befeuert und die natürlich in ihre eigenen Kreise hinein sehr aktiv wirkt.
Das zieht an, das muss man sagen. Und es gibt offenbar auch ein Interesse dafür, sich in der Situation, die man schwer erklären kann, hinter Thesen zu stellen, die eine leichte, einfache Erklärung versuchen, selbst wenn sie radikal ist.
DOMRADIO.DE: Sie wollen diese Proteste nicht unwidersprochen geschehen lassen. Haben Sie das Gefühl, dass generell zu wenig widersprochen wird und viele diese Proteste jetzt einfach so hinnehmen?
Tiede: Ich denke schon, dass wir als Gesamtgesellschaft mitunter zu leise sind, das hinnehmen, wie so ein Unwetter, das über uns hinweggeht und am Dienstag ist dann wieder alles gut. Wir müssen da als Gesellschaft eine Sprache finden, eine Stimme finden. Die darf nicht auf dem gleichen Eskalationslevel sein.
Darum darf es nicht gehen, sondern man muss eben einfach deutlich machen, dass wir mehr sind, dass wir da sind und dass wir anders denken und sei es mit so einem lauten Protest. Damit werden wir die Märkte jetzt nicht unmittelbar zurückerobern. Aber es kann auch nicht um einen Eroberungsfeldzug gehen, sondern einfach um ein deutliches, klares Signal.
DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie das in Ihrem eigenen lokalen Umfeld, also in der Gemeinde? Gibt es dort auch einige, die sich gegen die Corona-Maßnahmen aussprechen und vielleicht auch auf die Straße gehen?
Tiede: Natürlich. Kirchengemeinden sind ja immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Das ist ja das Schöne, dass unsere Kirchengemeinde quer durch die gesamte Gesellschaft geht und dann auch alle möglichen politischen Denkrichtungen, alle möglichen Sichtweisen auf Themen abbildet.
Das sind auch Themen, mit denen wir uns als Kirchengemeinde immer wieder auseinandersetzen müssen. Also es sind Mitglieder aus den Kirchengemeinden. Einer der Akteure ist ehemals Mitglied unserer Kirchengemeinde gewesen, der jetzt die Proteste auf dem Kornmarkt Montag für Montag befeuert. Das beschäftigt uns immer wieder, ja.
Das Interview führte Carsten Döpp.