Caritas International sieht Hungersnot in Nord-Äthiopien

"Es gibt wirklich fast nichts"

In der Region Tigray in Äthiopien leiden 4,5 Millionen Menschen unter einer schlimmen Hungersnot. Heuschrecken und kriegerische Auseinandersetzungen sorgen dafür, dass Lebensmittel nicht wachsen oder geerntet werden konnten.

Bischofskonferenz: Reise nach Äthiopien / © Jörn Neumann (DBK)
Bischofskonferenz: Reise nach Äthiopien / © Jörn Neumann ( DBK )

DOMRADIO.DE: In den 1980er Jahren herrschte eine große Dürre, weshalb die Menschen in Äthiopien Hunger leiden mussten. Nun treffen Naturkatastrophen, Heuschreckenplagen und kriegerische Auseinandersetzungen das Land hart. Haben die Menschen vor allem in der Region Tigray deshalb heute nichts zu essen?

Patrick Kuebart (Länderreferent Äthiopien bei Caritas International): Das ist keine ganz einfache Frage, denn die Gründe dafür sind vielschichtig. Aber im Vordergrund steht wahrscheinlich momentan der bewaffnete Konflikt. Es hat in der Region von November bis Dezember einen bewaffneten Konflikt zwischen der Zentralregierung und der regionalen Befreiungsfront von Tigray gegeben. Und in dessen Folge stehen die Menschen jetzt mit leeren Händen da, haben also Hunger und großen Bedarf an humanitärer Hilfe.

DOMRADIO.DE: ... und dann gab es noch die Heuschrecken.

Kuebart: Das ist richtig. Neben dem Konflikt ist die Lage vor Ort allgemein schon nicht einfach aufgrund der klimatischen Bedingungen. Es gibt immer wiederkehrende Dürren. Dieses Jahr gab es Einschränkungen durch Covid-19, die auch die Märkte und die Menschen vor Ort betroffen haben. Und zuletzt einen Heuschreckenbefall, der die Ernte vernichtet hat - neben den Konflikthandlungen. Das ist ein sehr großes Problem.

DOMRADIO.DE: Jetzt sprechen wir von 4,5 Millionen Menschen. An was fehlt es denen vor allem?

Kuebart: Wir sind sehr besorgt über die Situation vor Ort. Die Berichte unserer Partner sind wirklich erschreckend. Zunächst einmal fehlt es wirklich an Essen. Die Menschen haben gerade nichts auf ihren Tellern. Es fehlt aber auch an Zugang zu Wasser und an wirklich einfacher medizinischer Versorgung. Aufgrund des Konfliktes sind viele Medizinstationen, viele Krankenhäuser geplündert worden. Einfachste Medikamente sind derzeit nicht vorhanden.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn tatsächlich nichts zu essen oder nur für die ärmeren Menschen nicht?

Kuebart: Momentan gibt es wirklich fast nichts. Ein Problem ist der Ernteausfall, im November hätte die Ernte eingeholt werden sollen. Das konnte wegen des Konfliktes, aber auch wegen des Heuschreckenbefalls nicht geschehen. Aber ein weiteres Problem ist auch, dass die Banken geschlossen sind. Man kommt fast nicht an Geld und die paar Banken, die offen haben, haben sehr eingeschränkte Bargeldbestände. Das heißt, egal ob man reich oder arm ist, momentan hat niemand etwas zu essen, weil die Märkte leer sind und auch kein Geld vorhanden ist, um überhaupt etwas zu kaufen.

DOMRADIO.DE: Ein Impuls, den möglicherweise Menschen haben, ist: Dann sammeln wir jetzt hier mal Konserven und Mehl und schicken das dahin. Ist das eine Art von Hilfe, mit der Sie bei Caritas International noch arbeiten?

Kuebart: Nein, von dieser Art der Arbeit sind wir schon lange weggekommen. Es ist oftmals sehr schwierig, logistisch und natürlich auch sehr kostenintensiv, überhaupt Hilfsgüter aus Europa in andere Länder zu bringen. Dieses Geld kann man wesentlich besser einsetzen, indem man vor Ort Hilfsmittel kauft. Denn das ist weniger aufwendig und bedeutet gleichzeitig auch, dass Märkte vor Ort unterstützt werden statt zerstört werden durch die Hilfe, die von außen kommt.

Mittlerweile arbeiten wir sogar häufig mit Geldtransfers. Das heißt, die bedürftigen Menschen bekommen einen kleinen Geldbetrag, um in Würde selber darüber entscheiden zu können, was für sie am wichtigsten ist. Das ist in einer solchen Situation wie jetzt natürlich sehr schwierig. Wenn es nichts zu essen gibt, dann bringt auch Geld nicht viel. Wir wollen hier deshalb beides machen: Wir wollen erst einmal überhaupt dafür sorgen, dass die Menschen zu essen bekommen. Und sobald das möglich ist und auch die Hilfsgüter aus dem Land in die Regionen kommen, würden wir auch Bargeldmittel verteilen, damit auch die Märkte wieder stimuliert werden und das normale Alltagsgeschehen weitergehen kann.

DOMRADIO.DE: 267 000 Euro Nothilfe hat Caritas International bisher schon zur Verfügung stellen können. Ist es einfach, dann mit diesen Konvois aus anderen Landesteilen nach Tigray zu kommen?

Kuebart: Das ist momentan noch relativ schwierig, unter anderem auch aus Sicherheitsgründen. Es gibt noch einen bewaffneten Konflikt in der Region. Offiziell sind die Kriegshandlungen zwar eingestellt, aber hier und da gibt es eben auch noch Vorfälle. Das ist also ein Problem.

Dann sind die administrativen Hürden nicht immer ganz einfach. Auch die UN berichten davon, dass es momentan noch sehr lange dauert, die Hilfe überhaupt in die Regionen zu bekommen. Aber zumindest sind die katholische Kirche und die Caritas da sehr gut aufgestellt, denn wir reichen in die entlegenen Gebiete herein und können dann, wenn die Hilfsgüter vor Ort sind, auch dafür sorgen, dass wirklich alle Bedürftigen davon profitieren.

DOMRADIO.DE: Wenn die Hilfskonvois kommen, sind die Menschen dann leicht zu erreichen?

Kuebart: Nein, sie sind über die ganze Region verteilt und aufgrund des bewaffneten Konflikts haben auch viele Menschen ihr Zuhause verlassen. Viele Menschen sind auf der Flucht. Ein Großteil davon, über 100.000, sind in der Region selber; in etwa 60.000 sind auch über die Grenze in den Sudan geflohen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Geflüchtete Menschen aus der Region Tigray / © Nariman El-Mofty (dpa)
Geflüchtete Menschen aus der Region Tigray / © Nariman El-Mofty ( dpa )
Quelle:
DR
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