DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den Besuch von Papst Franziskus mit der Unterzeichnung der Enzyklika "Fratelli tutti" erlebt?
Bruder Thomas Freidel OFM Conv. (Diakon und Pilgerseelsorger in Assisi): Es war der vierte Besuch von Papst Franziskus hier in Assisi. Er bleibt seinem Namenspatron treu und ist heute eigens hierhergekommen, besonders um seine neue Enzyklika zu unterzeichnen.
Er ist vorher in der Nachbarstadt Spello gewesen und war zum Mittagessen dort bei den Klarissen-Schwestern eingeladen. Spello ist eines der ältesten Klarissenklöster, die es gibt. Es wurde noch ganz früh gegründet, gleich nachdem die heilige Clara in San Damiano ihren Orden gegründet hat. Das war die eine Station.
Dann kam er zu uns und ist gleich in die Krypta der Basilika San Francesco gegangen und hat dort einen einfachen Gottesdienst gefeiert. Es waren nur ganz wenige Personen anwesend. Der Kardinallegat unserer Basilika, der Bischof von Assisi, die Bürgermeisterin und einige Mitbrüder von uns. Nur ganz wenige, die Krypta ist ein sehr enger Raum und gemäß der Vorschriften, die zur Zeit sind...
Unsere Novizen haben gesungen, der Papst hat eine ganz einfache Messe ohne Predigt gefeiert und am Ende der Messe aber dann die neue Enzyklika "Fratelli tutti" unterzeichnet. Dann ist er wieder in den Kreuzgang nach oben gekommen und da waren wir dann: die ganze Konventgemeinschaft, alle Brüder vom Sacro Convento, alle Franziskaner-Minoriten, die in Assisi leben, waren dann hier versammelt und er hat jeden von uns persönlich begrüßt.
DOMRADIO.DE: Jetzt steckt da ein relativ großer Symbolgehalt drin. Diese große Enzyklika, die sich mit der Welt nach der Corona-Krise befasst, wird in Assisi unterzeichnet und dann noch am Wochenende des Gedenktages des Heiligen Franziskus. Was bedeutet das für Sie als Franziskanerbruder?
Bruder Thomas: Das bedeutet für uns natürlich, dass es auch ein Auftrag für uns ist. Dass der Papst das so ernst nimmt, dass er sich an seinem Namenspatron orientiert, dass er extra zur Unterzeichnung der Enzyklika hierher kommt, das ist nur ganz selten in der Geschichte passiert. Meistens nur dann, wenn die Päpste in irgendwelchen Notsituationen mehr oder weniger genötigt waren, ihre Lehrschreiben außerhalb Roms zu unterzeichnen. Es ist nur selten der Fall gewesen.
Er kommt bewusst hierher am Vorabend des Franziskus-Festes. Uns bedeutet es natürlich sehr viel. Die Enzyklika beginnt ja auch mit einem Zitat aus den Schriften des Franziskus. Es gibt die sogenannten Ermahnungen. Man könnte sie vielleicht besser als Weisheitsworte übersetzen, verschiedene Aussagen des Franziskus, die gesammelt wurden.
Da sagt er an einer Stelle, wir sollen uns alle bemühen - wir, alle Brüder, "fratelli tutti" - Christus nachzufolgen. Der Text der Enzyklika wird erst morgen veröffentlicht, aber so viel habe ich schon erfahren können. Der erste Satz geht dann so weiter, dass es heißt: "Fratelli tutti", so spricht Franziskus zu seinen Brüdern, aber eben zu allen Brüdern und Schwestern, um sie einzuladen, den Weg des Evangeliums zu gehen.
Der erste Satz in seiner ganzen Fülle, in dem ganzen Text, zeigt dann, wie dieses Zitat gemeint ist. Es ist als Anrede nicht nur einseitig gemeint. Die Anrede steht ja schon über der Enzyklika. Dieses Missverständnis, das ja mancherorts für Irritationen gesorgt hat, hat sich dann auch aufgeklärt. Das ist ein Auftrag für uns, aber ich wünsche mir auch, dass alle anderen, die sich interessieren, dass wir diese Enzyklika zur Kenntnis nehmen. Denn sie wird sicher wichtige Impulse zum Thema Geschwisterlichkeit und zum Thema unseres Zusammenlebens jetzt gerade in der Corona-Krise und auch danach enthalten.
DOMRADIO.DE: Sie und die Brüder sind dannn noch kurz mit dem Papst zusammengetroffen. Wie ist das - gerade jetzt in der Corona-Zeit - abgelaufen?
Bruder Thomas: Wir waren in unserem großen Innenhof mit genügend Abstand zueinander aufgereiht, um den ganzen viereckigen Innenhof herum. Der Papst hat dann die Runde gemacht, hat aber durchaus jedem die Hand gegeben. Das hat er schon gemacht, so wie man das gewohnt ist. Unsere Novizen, die jungen Mitbrüder, die das so gewohnt sind, haben dann auch teilweise eine Art Selfie mit ihm gemacht, mit etwas Abstand.
Er hat jeden persönlich begrüßt und wir haben auch zwei Worte auf Deutsch gewechselt. Ich habe dann gleich gesagt: "Ich bin Bruder Thomas aus Deutschland." Und er sagte: "Ah, willkommen, sehr schön." Er spricht ja deutsch und hat die Verbindung dazu.
Natürlich waren unsere argentinischen Mitbrüder besonders im Einsatz, vor allem unser Ökonom. Denn kurz vor der Abreise hat der Papst noch eine kurze Pause gemacht und eine kleine Erfrischung zu sich genommen. Da gab es dann den Mate-Tee, den er aus seiner Heimat gewohnt ist. Unser Mitbruder und Ökonom hat das extra vorbereitet. Ein bisschen heimatlicher Flair für den Papst hier bei uns, wo wir ja sowieso weit über 20 Nationen sind und alle Welt hier im Haus bei uns vertreten ist.
DOMRADIO.DE: Welchen Eindruck hatten Sie vom Heiligen Vater? Das ist ja das erste Mal gewesen, dass er tatsächlich seit Beginn der Corona-Krise den Vatikan verlassen hat.
Bruder Thomas: Er ist natürlich freundlich und aufmerksam, es gab auch bei manchen Mitbrüdern Anlass zu Scherzen und zum Lachen. Aber man merkt schon, dass er auch eine Last trägt. Vielleicht auch zunehmend die Last des Alters. Aber, wenn man ihm ins Gesicht geschaut hat, denke ich, macht er sich schon viele Sorgen.
Auch die vergangenen Monate: Man braucht ja nur an diesen Abend zu denken, an dem er auf dem Petersplatz im Regen betend diesen Segen gesprochen hat. Es ist auch wie vielleicht bei uns allen. Wir gestehen es uns vielleicht nicht immer so ein, aber es ist nicht ganz spurlos an ihm vorbeigegangen. Er trägt auch die Sorge mit sich, und das war ihm anzumerken. Aber er bleibt trotzdem heiter und gelassen, freut sich und hat hier auch Vergnügen gehabt in dieser kurzen Begegnung mit uns.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.