DOMRADIO.DE: Heute morgen konnten Sie nicht zum Sender gelangen, weil die Innenstadt gesperrt war. Jetzt sind Sie angekommen und haben auch schon die Nachrichten gesprochen. Wie geht es Ihnen jetzt?
Christoph Wellner (Chefredakteur von Radio Klassik Stephansdom aus Wien): Momentan ist das Adrenalin noch besonders hoch, weil hier natürlich alles im Ausnahmezustand funktioniert. Wenn man durch die Innenstadt geht, ist es immer noch gespenstisch leer. Natürlich nicht mehr ganz so leer, wie es am Morgen war.
Da durfte ich gar nicht über den Stephansplatz in Richtung unseres Senders gehen. Wir sind am Morgen komplett über autumatischen Sendebetrieb gefahren. Aber jetzt sind schon wieder ein paar Redaktionsmitglieder hier und wir bemühen uns, so gut es geht, zu informieren, aber auch Ruhe auszustrahlen in dieser außergewöhnlichen Situation.
DOMRADIO.DE: Wien gehört zu den lebenswertesten Städten der Welt. Hatten Sie das irgendwie auf dem Schirm, dass so etwas auch bei Ihnen in Wien passieren könnte?
Wellner: Ehrlich gesagt, nein. Natürlich kann man terroristische Attentate nie voraussehen. Aber es gibt ein unheimlich offenes und gutes Klima in Wien. Wir haben uns eigentlich sehr lange sehr sicher gefühlt. Kardinal Schönborn hat heute gesagt, dass es fast 40 Jahre her ist, dass der letzte terroristischer Anschlag in Wien war. Wir haben uns sicher gefühlt. Seit gestern Abend ist es vorbei mit diesem Gefühl.
DOMRADIO.DE: Die Polizei geht von einem islamistischen Anschlag aus. Was wissen Sie momentan darüber, was gestern passiert ist?
Wellner: Der eine Attentäter ist mittlerweile bekannt, sogar sein Name ist schon veröffentlicht worden. Er war bekennender Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat. Viel mehr weiß ich darüber auch noch nicht. Es ist ja auch nicht meine Aufgabe, solche Details weiterzugeben.
Es war auf jeden Fall ein Anschlag im Herzen der Innenstadt, in einem Teil der Stadt Wien mit sehr vielen Lokalen. Man darf nicht vergessen, dass gestern der letzte Abend vor dem Lockdown und der Ausgangssperre war. Gestern waren sehr viele Menschen unterwegs. Noch dazu hat es mit knapp 20 Grad ungewöhnlich warme Temperaturen für Anfang November gegeben. Das heißt, es war wirklich viel los.
Und auch ein Terrorexperte hat heute früh im österreichischen Rundfunk gesagt, dass vieles darauf hindeutet, dass es ein lange geplanter Anschlag war und dieser Zeitpunkt genau gewählt war. Der letzte Tag vor einem Lockdown und dann noch die warmen Temperaturen: Man hat kalkuliert, hier viele Menschen treffen zu können.
DOMRADIO.DE: Die ersten Schüsse sind offenbar in der Nähe der Synagoge gefallen. Gibt es schon nähere Informationen, ob die Synagoge etwas mit dem Attentat zu tun hatte?
Wellner: Es gibt bis jetzt keine direkten Hinweise, dass es einen deklariert antisemitischen Hintergrund bei diesem Attentat gegeben hat. Genau gegenüber dieser Synagoge sind sehr viele Lokale. Wenn meine Informationen richtig sind, dann hat zumindestens dieser eine Attentäter wahllos in diese Lokale hinein geschossen, nicht in Richtung Synagoge. Auch der Vorsteher der Jüdischen Kultusgemeinde hat gestern Abend nichts verlauten lassen, dass er in irgendeiner Form mitbekommen hätte, dass es ein gezielt antisemitischer Anschlag gewesen sei.
DOMRADIO.DE: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat schon seine Fassungslosigkeit geäußert und den Angehörigen der Opfer seine Anteilnahme ausgesprochen. Sie haben gerade Kardinal Schönborn erwähnt. Wie waren die kirchlichen Reaktionen in Österreich?
Wellner: Natürlich auch schockiert. Unsere Aufgabe im Radio ist es jetzt, Ruhe zu vermitteln. Und das ist auch die Botschaft, die vonseiten der katholischen Kirche und auch von den Kirchen in Österreich kommt. Keinesfalls mit neuem Hass reagieren, sondern einfach mit dem, was uns ausmacht. Kardinal Schönborn hat gesagt: "Gehen wir weiter den Weg der Solidarität, der Gemeinschaft und der Rücksichtnahme."
Das sind Werte, die unser Land geprägt haben. Ich finde auch ein Zitat von ihm sehr schön, das viel aussagt: "Wir müssen jetzt in der Pandemie auf Abstand sein. Mit dem Herzen müssen wir nicht auf Abstand sein. Sorgen wir für Wärme in der Gesellschaft." Positive Worte zu ganz schrecklichen Taten.
Das Interview führte Hilde Regeniter.