DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit Harry Potter. Ist der junge Mann tatsächlich ein Bote Satans, wie manche behaupten?
Matthias Frohmann-Stadtlander (Theologe, Lehrer und Dozent am Institut für Erziehungswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum): Ich glaube eher, das behaupten diejenigen, die das Buch nicht gelesen haben. Wenn man genau hinschaut, gibt Joanne K. Rowling in allen sieben Bänden eigentlich die Grundwerte jüdisch-christlicher Motive wieder.
Es gibt sogar spannenderweise eine Untersuchung aus dem Journal für angewandte Sozialpsychologie, dass Leser und Leserinnen der Harry-Potter-Bände deutlich empathischer sind und deutlich weniger Vorurteile haben. Also kann ich diese Aussage vollständig entschärfen.
DOMRADIO.DE: Der Pfarrer an dieser Schule in den USA behauptet, die Zaubersprüche bei Harry Potter seien echt. Haben Sie als Harry Potter-Kenner schon einmal probiert, etwas nachzuzaubern? Funktioniert das?
Frohmann-Stadtlander: (lacht) Ich habe es noch nicht probiert. Aber ich hege auch berechtigten Zweifel.
Schon in der Bibel wird ja - wenn es um Zauberei geht - immer die Frage gestellt, in wessen Vollmacht gezaubert wird. Denn auch Jesus und Moses zaubern ja sozusagen. Das ist bei Harry Potter auch sehr genau geregelt. Böser Zauber ist verboten und guter Zauber muss immer den Menschen dienen. Dadurch kann man sagen, ist das im biblischen Sinne auch eine Tradition ist, die da fortgesetzt wird.
DOMRADIO.DE: Warum ist es denn so, dass sich seit Beginn der Buchreihe immer wieder Christen so an Harry Potter abarbeiten?
Frohmann-Stadtlander: Ich fühle mich zum Teil in die Lesesucht-Debatte des 19. Jahrhunderts zurückversetzt. Da wurde über junge Frauen gesagt, dass sie sich in den Wahnsinn lesen und dann erschöpft niederfallen.
Bei Harry Potter war es so, dass es irgendwann einen unheimlichen Hype ausgelöst hat - nicht schon vor 21 Jahren, sondern ungefähr zwei Jahre später ging das in Deutschland los. Da haben sich viele Kirchenkenner oder auch angebliche Kirchenexperten eingeschaltet, weil die etwas von dem Hype irritiert waren, der da ausgelöst wurde. Es ist nur die pure Angst einiger Leute. Und dann will man bestimmen, was zu lesen erlaubt ist und was nicht.
DOMRADIO.DE: Aber die Magie wird in den Büchern doch positiv dargestellt - zumindest wenn Harry Potter und seine Freunde sie gebrauchen, oder?
Frohmann-Stadtlander: Nicht wirklich positiv. Da muss man aufpassen. Sie wird eher als gefährlich, wie Atomkraft, beschrieben. Man kann in Hogwarts nicht einfach lustig drauf los zaubern, sondern muss das Zaubern lernen. Das ist ein ganz komplexer Prozess, der mit dem Ethos der Verantwortung gepaart ist.
Wenn man hier mal wieder quer in Richtung Bibel schaut: Jesus macht da laut Überlieferung im Markusevangelium einen Heilungsversuch. Der Geheilte sagt dann: "Ich sehe Menschen wie Bäume." Jesus muss sich daraufhin nochmal in die Hände spucken und nochmal in die Augen reiben und dann hat die Heilung erst funktioniert. Also auch in der Bibel sieht man, dass es nicht immer klappt.
DOMRADIO.DE: Menschen sterben in den Romanen durch Magie, Riesenspinnen machen Jagd auf Kinder. Wird die Welt der Zauberei nicht auch zu düster beschrieben?
Frohmann-Stadtlander: Wenn ich an Astrid Lindgren denke, so hat sie ja auch beispielsweise bei den Brüdern Löwenherz einen Drachen beschrieben. Da gab es nie eine solche Diskussion. Wobei man sagen muss, dass es in Frankreich Diskussionen gab, ob Pippi Langstrumpf nicht zu frech ist.
Aber als Faustregel bei Harry Potter kann man sagen, dass Kinder erst mit elf Jahren anfangen sollten die Bücher zu lesen. Die Bücher werden in der Folge immer komplexer und auch gruseliger. Es passieren auch immer schlimmere Sachen, insbesondere ab dem vierten Band, wenn Cedric von Voldemort ermordet wird. Dann müsste das lesende Kind ja auch inzwischen 14 Jahre alt sein oder zumindest 13 und das besser verstehen und verarbeiten können.
DOMRADIO.DE: Neben der Magie gibt es auch immer wieder christliche Motive, die bei Harry Potter auftauchen. Was sind das für welche?
Frohmann-Stadtlander: Der evangelische Theologe Gerd Theißen aus Heidelberg hat sogenannte biblische Grundmotive entwickelt. Beim Messias-Motiv etwa, wie ich es nenne - das ist eine Weiterentwicklung von mir - geht es darum, dass jemand seine Berufung gar nicht annehmen möchte und dann aber trotzdem erlöst. Da ist Moses das beste Beispiel, aber auch König David, der seine Aufgabe erst gar nicht annehmen möchte.
Es gibt auch das Hoffnungsmotiv in der Bibel, welches beschreibt, dass am Ende der Welt die Rechnung noch nicht bezahlt ist und dass es immer eine Hoffnung darauf gibt, dass sich die Welt zum Guten hin wendet.
Zu erwähnen wäre auch noch das Umkehrmotiv. Jeder Mensch hat die Möglichkeit zur radikalen Umkehr. Da wäre Snape das beste Beispiel. Diese ganzen Motive werden bei Harry Potter angesprochen und schwingen immer mit - zum Teil absichtlich, zum Teil unabsichtlich.
Das Interview führte Hilde Regeniter.