Dänemark hebt sämtliche Corona-Beschränkungen auf

"Es wird normaler"

Am kommenden Freitag sollen in Dänemark sämtliche Corona-Beschränkungen fallen. Covid-19 gilt dann nicht länger als "für die Gesellschaft kritische Krankheit". Auch in Gottesdiensten kehrt die Normalität zurück. Ein Vorbild für Deutschland?

Menschen drängen sich in der Nacht vor einem Nachtclub in Kopenhagen / © Olafur Steinar Gestsson/Ritzau Scanpix/AP (dpa)
Menschen drängen sich in der Nacht vor einem Nachtclub in Kopenhagen / © Olafur Steinar Gestsson/Ritzau Scanpix/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Zum 10. September hebt Dänemark die Corona-Beschränkungen auf. Wie fühlen Sie sich in einem Land, das Corona offenbar besiegt hat?

Sr. Anna Mirijam Kaschner CPS (Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz): Gut, besiegt werden wir es erst mal nicht haben, das hat auch nochmal die Regierung deutlich gesagt. Die Krankheit ist nach wie vor da, aber sie ist unter Kontrolle – hat man gesagt. Ich selbst merke, es ist einerseits natürlich schön. Die Beschränkungen sind oder werden bald aufgehoben sein. Das tägliche Leben kann normaler wieder vor sich gehen.

Aber auf der anderen Seite: Der Herbst und der Winter stehen vor der Tür. Das sind Zeiten, in denen die Corona-Zahlen immer wieder in die Höhe steigen. Ich bin da ein bisschen unsicher, was jetzt auch der richtige Weg ist. Erst einmal genieße ich es, aber schon mit einem Blick auf Herbst und Winter mit etwas Zweifel, ob das alles so richtig ist.

DOMRADIO.DE: Bei uns diskutieren ja alle hier über 2G- und 3G-Regelungen. Redet bei Ihnen keiner mehr über so etwas?

Kaschner: Nein. Sobald der nächste Freitag kommt, wird das alles wegfallen. Zurzeit ist es noch so, dass man den Corona-Pass bei sich haben muss, wenn man ins Restaurant will, auf Reisen und so weiter geht. Das aber wird dann mit dem 10. September alles wegfallen.

DOMRADIO.DE: Fast nicht vorstellbar für uns. Der dänische Gesundheitsminister sagt: "Die Epidemie ist unter Kontrolle. Wir haben Impfraten in Rekordhöhe." Er spricht von Imquoten von über 80 Prozent bei den über 12-Jährigen. Was bedeutet diese Kontrolle für die Kirchen im Land und für die Gottesdienste?

Kaschner: Auch da wird es so sein, dass ab dem 10. September wieder alles normal läuft, so wie vor Corona – auf dem Papier zumindest. So ähnlich, wie das alltägliche Leben auch erst einmal auf dem Papier normal laufen wird. Aber man merkt schon, die Leute sind nach wie vor vorsichtig. Händeschütteln, Umarmungen, Friedensgruß in der Messe – das wird es, glaube ich, auf längere Zeit einfach nicht geben. Abstand, man merkt es im Supermarkt: Die Leute halten automatisch weiterhin diesen Abstand. Ich selbst merke es an mir auch. Wenn mir zwei, drei Leute zu nahe auf die Pelle rücken, dann macht das einfach ein ungutes Gefühl. Ich habe den Eindruck, wir müssen uns langsam erst wieder daran gewöhnen, dass Nähe auch zugelassen werden kann in dieser Zeit.

Und für die Kirche muss man sagen: Wir sind sehr benachteiligt gewesen, als es um die ersten Lockerungen ging. Da gab es beispielsweise schon die Möglichkeit, ein Fußballspiel mit 5.000 Zuschauern zu besuchen, wo grölende Fans aufeinander trafen. Aber in der Kirche galt weiterhin das Versammlungsverbot, das Gesangsverbot und so weiter. Aber ab dem 1. September sind auch hier die Abstandsgebote bereits abgeschafft worden. Das Tragen von Mundschutz ist nicht mehr erforderlich und so weiter. Also, es wird normaler.

DOMRADIO.DE: Dänemark hat sich immer als Vorreiter in der Pandemie gesehen. Im März 2020 hatte Ministerpräsidentin Frederiksen als eine der ersten Regierungschefinnen in Europa einen strikten Lockdown verkündet. Jetzt der "Freedom Day" nächsten Freitag – das Ende aller Corona-Maßnahmen. Kann Dänemark auch Vorbild für Deutschland sein?

Kaschner: Ich denke, so was kann man wahrscheinlich nicht eins zu eins übertragen. Dänemark ist ein ganz kleines Land. Wir haben fünf Millionen Einwohner. Das ist mit Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen. Ich denke, es wird erst einmal auf die Impfzahlen ankommen. Dänemark hat ja schon direkt nach Bekanntwerden der Nebenwirkungen von AstraZeneca und Johnson & Johnson diese beiden Vakzine sofort aus dem Impfprogramm genommen und nur noch Biontech/Pfizer und Moderna verimpft. Dadurch ist ein recht großes Vertrauen in der Bevölkerung entstanden. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum wir diese hohen Impfzahlen haben.

Und Dänemark war Vorreiter bei der Teststrategie. Sie konnten sich hier gratis jeden Tag testen lassen, wenn sie wollten. Es wurde dazu sogar aufgerufen. Es wurden mobile Teststationen errichtet. Leute, die in der Schule arbeiteten, Schüler und Schülerinnen werden auch heute noch regelmäßig getestet. Da muss man sagen, war Dänemark wirklich Vorreiter. Wie das jetzt in Deutschland aussehen wird, wie gesagt, das Land ist sehr viel größer, wage ich nicht zu sagen, ob man das wirklich übertragen kann. Ich glaube es nicht.

Das Interview führte Tobias Fricke.


 Sr. Anna Mirijam Kaschner / © Julia Rathcke (KNA)
Sr. Anna Mirijam Kaschner / © Julia Rathcke ( KNA )
Quelle:
DR