Die Sache scheint aus Sicht der Regierung von Myanmar um die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi klar: Militante Rohingyas setzen im nördlichen Bundesland Rakhine nach Überfällen auf Militärposten nun Dörfer in Brand. Doch Angehörige dieser muslimischen Minderheit im vorwiegend buddhistischen Myanmar erzählen eine andere Geschichte.
Ihnen zufolge stecken Soldaten, Grenzwachen und buddhistische Bewohner von Rakhine Häuser an - und schießen auf Rohingyas. In einer Woche wurden bei der jüngsten Gewaltwelle fast 400 Menschen getötet, wie die Armee am Freitag bekanntgab. Fast 40 000 Rohingyas sind seit dem 25. August über die Grenze in das benachbarte Bangladesch geflohen, wie Hilfsorganisationen berichten. Die derzeitige ethnische Gewalt gilt als die schlimmste seit den Unruhen von 2012.
Flucht von Dorf zu Dorf
"Wir wissen nicht, wann wir tot sein werden", sagt Hla Tun, ein muslimischer Einwohner am Telefon. Auf der Suche nach Schutz flieht er von Dorf zu Dorf. "Ich denke, das ist eine absolute Katastrophe", meint Chris Lewa, Leiter der gemeinnützigen Organisation Arakan, die die Lage der seit Generationen in Myanmar lebenden, aber dort diskriminierten Rohingyas beobachtet. "Ich glaube, sie werden alle Dörfer niederbrennen, eines nach dem anderen".
Die Organisation, die von der Regierung für die Brandschatzungen verantwortlich gemacht wird, nennt sich Arsa: Arakan Rohingya Salvation Army. Sie griff erstmals im Oktober 2016 Militärposten in Rakhine an. Die Arsa wolle einen "Islamischen Staat" im vorwiegend von Rohingyas bewohnten Norden Rakhines aufbauen, sagte der Nationale Sicherheitsberater Thaung Tun am Dienstag Diplomaten.
Die Lage ist unübersichtlich. Die Arsa argumentiert, sie wolle die Rechte der muslimischen Minderheit wiederherstellen. Sie ruft die Weltgemeinschaft um Hilfe an, posiert aber mit Bewaffneten im Internet.
Als illegale Einwanderer angesehen
Rohingyas werden im früheren Birma tatsächlich als illegale Einwanderer aus Bangladesch angesehen und nicht als Staatsbürger anerkannt, selbst wenn sie seit Generationen im Land sind. Rund eine Million Rohingyas leben in Rakhine, sie können sich aber nicht frei bewegen und haben keinen Zugang zum Schulsystem.
Die Regierung des südostasiatischen Landes ließ Tausende Nichtmuslime aus den Konfliktgebieten herausholen und warnt vor "extremistischen Terroristen", die auf Zivilisten abzielten. "Leute sagen, dass diese Bengalen (gemeint sind Rohingyas) ihre Häuser selbst anzünden", sagt Tin Maung, ein buddhistischer Einwohner von Maungdaw, der Schutz im weiter südlich gelegenen Ort Buthidaung suchte.
Bangladesch macht dicht
Tausende Rohingyas haben sich vor der Gewalt ins Mayu-Gebirge geflüchtet, so wird vermutet. Andere ziehen in Richtung Bangladesch. Doch dort werden viele von Grenzsoldaten zurückgeschickt oder ertrinken im Grenzfluss und andere hängen im Niemandsland fest. Das Nachbarland sieht die Rohingyas als Sicherheitsgefahr an - und zögert, ihnen offiziell die Tür zu öffnen.
Der UN-Sicherheitsrat traf sich vergangenen Mittwoch hinter verschlossenen Türen, um über die neue Krisenlage zu beraten. Mitglieder riefen dabei die Konfliktparteien auf, die Lage "zu deeskalieren". Doch eine Resolution verabschiedete dieses höchste Gremium der Vereinten Nationen nicht.
In Myanmar herrscht nun die Sorge, der Konflikt könnte auf andere Gebiete in Rakhine überspringen. Lebensmittellieferungen für das Rohingya-Flüchtlingslager in der Stadt Sittwe im Zentrum von Rakhine verzögerten sich nach Angaben mehrerer Helfer.
Die Regierung wirft internationalen Hilfsorganisationen Komplizenschaft mit militanten Rohingyas vor. So seien Kekse aus dem UN-Welternährungsprogramm in einem mutmaßlichen Trainingslager gefunden worden, schrieb sie einen Tag nach den Angriffen vom 25. August. Ein Verdacht, den der US-Botschafter in Myanmar, Scott Marciel, als "absurd" bezeichnet.