domradio.de: Herr Weihbischof, Sie kennen den deutschen Preisträger.
Weihbischof Losinger: Ja, es ist eine sehr erfreuliche Tatsache, zu sehen, dass neben zwei amerikanischen Kollegen ein Deutscher mit dabei ist in dem hehren Preis der Nobelpreisträger für Medizin. Persönlich freut mich, da ich Mitglied des Senats der Max-Planck-Gesellschaft bin, besonders: Der Nobelpreisträger aus Deutschland hat an einem unserer Institute promoviert. Er studierte Medizin in Aachen und an der Harvard-University und promovierte dann am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Es ist ein wirklich erfreuliches Ereignis zu sehen, dass ein Nobelpreisträger für Medizin sozusagen aus dem eigenen Hause kommt.
Erstaunlich ist dabei, wie die Arbeit dieser drei Mediziner geradezu Hand in Hand ging bei der Frage der Entschlüsselung der Kommunikationsstrukturen der Zellen. Gerade heute, wo man im Blick auf die Effektivität naturwissenschaftlicher Forschung schaut, wird erkennbar, dass nicht selten ein Höchstgrad an Spezialisierung das Geheimnis des Erfolges ist. Oft sind in hochkomplexen Instituten die Kollegen, die Tür in Tür in Nachbarschaft arbeiten, gar nicht mehr in der Lage, zu sagen und zu verstehen, was der andere Nachbar macht. Gerade heute unter der Anforderung der Interdisziplinarität sind diese drei Forscher in dem Zueinander ihrer Forschungsergebnisse ein Beispiel, wie ein gemeinsames Ziel in gleichen Forschungszielen zu großartigen Erfolgen führt.
domradio.de: Wofür genau haben diese drei Forscher den Nobelpreis erhalten?
Weihbischof Losinger: Das Interessante findet sich in der Begründung des Komitees: Die drei haben gemeinsam die Rätsel gelöst, wie Zellen ihr Transportsystem organisieren. Das ist von Belang für die Zukunft der medizinischen Forschung und Therapie und wird sehr viele Menschen bewegen: Nämlich, wie Zellen insgesamt in unserem Körper intern ihr Transportsystem und ihr Kommunikationssystem organisieren. Es sind ja diese Neurotransmitter, die die entsprechenden Signale zwischen den einzelnen Zellen organisieren, und es sind diese Pakete von Molekül-Divertikel, die die einzelnen Kommunikationen zwischen den Zellen weiterleiten. Das Interessante für uns ist, dass wir ja heute wissen, wie sehr nicht wenige schwere Erkrankungen in diesem Bereich der kleinsten Bausteine des Körpers ihren Anfang nehmen, vor allem dort, wo es um Autoimmunerkrankungen geht, um neurologische Erkrankungen wie Diabetes und vielleicht sogar um die Gründe solcher Erkrankungen wie Alzheimer. Hier sind wir auf einem Weg, den man wirklich als nobelpreiswürdig sehen muss, wenn die Kommunikationssysteme und die Funktionsweise zwischen den einzelnen Zellen gewürdigt werden.
domradio.de: Das ist also eine segensreiche und ethisch unbedenkliche Forschung, die nicht auf Kosten z.B. von embryonalen Stammzellen geht?
Weihbischof Losinger: Im deutschen Ethikrat sind wir immer an dieser ethischen Scheidegrenze, an der wir sagen müssen, wo sind Forschungen im Gange, die das Positive und den Nutzen für die Menschheit zum Ausdruck bringen, und wo sind in einer nüchternen Technikfolgenabschätzung die Schäden, die dadurch generiert werden, größer als das, was wir davon erwarten dürfen. Hier ist gerade dort, wo es um die Frage der Zerstörung von menschlichen Embryonen geht, natürlicher Weise eine Grenze überschritten, die wir aus Lebensrechts- und Menschenwürdegründen nicht tolerieren dürfen. Derzeit können wir im Blick auf die Forschung der Neurotransmitter und der Kommunikationsstrukturen der Moleküle zwischen den einzelnen Zellen eine Zukunftsperspektive der Zellbiologie erkennen, die für viele Menschen sehr positive Strukturen und Erwartungen erfüllen dürfte. Gleichzeitig ist natürlich die Wissenschaft immer gefordert, dort, wo die Frage der Schadensbegrenzung und auch des Negativen in den Augenschein tritt, tätig zu werden.
Das Interview führte Mathias Peter.