In Europa sind mehr als 40.000 verschiedene sogenannte In-Vitro-Diagnostik-Produkte auf dem Markt. Mit ihnen kann man genetische Veranlagungen und Krankheiten feststellen, wie etwa die unheilbare Nervenkrankheit Chorea Huntington oder das Down-Syndrom bei Ungeborenen. Es sind zugleich Test-Verfahren, die keinen Eingriff in den Körper notwendig machen.
2012 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, den gesetzlichen Rahmen für diese Produkte zu ändern. Die Verhandlungen waren schwierig, weil die Gesetzgebungen in den EU-Ländern sehr unterschiedlich sind. Das EU-Parlament stimmt nun an diesem Mittwoch über den Gesetzesvorschlag zu Medizinprodukten ab, auf den sich die EU-Minister vor knapp einem Monat geeinigt hatten.
Dubiose Anbieter
"Insgesamt wird diese Verordnung medizinische Tests sicherer machen", sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) und zuständige Berichterstatter für den Gesetzesvorschlag, Peter Liese (CDU). Das gelte besonders für DNA-Tests, bei denen es einige "dubiose Anbieter" auf dem Markt gebe, die Menschen vorgaukelten, sie könnten bestimmte Krankheiten vorhersagen. Mit der neuen Verordnung müssten Anbieter aufgestellte Behauptungen belegen und sich stärker kontrollieren lassen.
Eine Beratungspflicht sieht der neue Gesetzesvorschlag nur bei Tests von "unbehandelbaren" Krankheiten wie etwa Chorea Huntington vor. Bei behandelbaren Krankheiten hätte das zuständige medizinische Personal lediglich die Pflicht, über mögliche Konsequenzen des Tests zu informieren. Auch die sogenannten Praena-Tests werden durch die Verordnung europaweit reguliert. Mit solchen Tests kann zum Beispiel die Erkrankung eines ungeborenen Kindes an Trisomie 21, bekannt als Down-Syndrom, bereits in einer Blutprobe der schwangeren Frau festgestellt werden.
Diagnostik und Therapie
Setze sich der Praena-Test weiterhin durch, könne das dazu führen, dass er nicht nur bei Risikoschwangerschaften, sondern bei jeder Schwangerschaft gemacht werde. "Das führt dann natürlich dazu, dass Kinder mit einer Behinderung im Zweifel gar nicht mehr geboren werden", so Liese. Die Freiheit, den Test abzulehnen, gehe verloren. "Das ist eine große Gefahr", sagt der Berichterstatter. Es liege nun in der Hand der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob eine Abtreibung als "Therapie" angesehen werde, wenn bei einem ungeborenen Kind Trisomie 21 diagnostiziert werde, so Liese. Er hatte vorgeschlagen, bei der vorgeburtlichen Diagnostik die Beratung verpflichtend zu machen. Doch der Ministerrat lehnte ab.
Liese hält es für besonders wichtig, dass es in Deutschland das Gendiagnostik-Gesetz gibt und dass es gut umgesetzt werde. In vielen Ländern gebe es gar keine solche Gesetzgebung, vor allem in Mittel- und Osteuropa. Vergleichbare Gesetzgebung gebe es in Portugal, Österreich, Spanien und Frankreich. Diese Ungleichheiten führten zu Problemen an den Grenzen. Frauen in Grenzregionen, die die Beratung umgehen wollten, könnten den Test im Nachbarland durchführen lassen.
Beratung vor Druck
"Ich treffe immer wieder Frauen, die sagen, wenn ich gewusst hätte, dass man nicht helfen kann, dann hätte ich diesen Test gar nicht gemacht", so Liese. Es sei leichter den Test nicht durchführen zu lassen, als eine Behinderung des ungeborenen Kindes bewusst in Kauf zu nehmen. Der Druck von außen sei dann "sehr viel stärker", sagt der Abgeordnete. Deshalb müsse eine Beratung vorher stattfinden.
In Deutschland ist der Praena-Test seit Sommer 2012 zugelassen. Die Lebenshilfe und die Down-Syndrom-Fachverbände lehnen den Bluttest zur Früherkennung von Trisomie 21 als Reihenuntersuchung bei Schwangeren ab. Die Blutuntersuchung sei ethisch problematisch und gefährlich, sagte die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt im Frühjahr 2015. "Der Test vermittelt den Eindruck, es sei ein perfektes Kind möglich. Damit gefährdet er die Akzeptanz von Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit."
Genetische Aussonderung?
Der Vorsitzende der Kommission für Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gebhard Fürst, sieht die Praena-Tests kritisch. Es bestehe die Gefahr, dass "genetisch als nicht genügend eingestufte Menschen bereits im Mutterleib ausgesondert" würden, sagte er bereits 2012 in einem Zeitungsinterview.
Derzeit übernehmen nach Angaben der Verbände etwa 20 Krankenkassen die Kosten für Praena-Tests auf Antrag. Bei dem Verfahren werden aus dem Blut der Mutter Gen-Schnipsel des Embryos gefiltert und auf Defekte untersucht. Befürworter argumentieren, das Verfahren erspare andere riskante Untersuchungen wie eine Fruchtwasseranalyse.