domradio.de: Ist der Umgang Europas mit den Flüchtlingen christlich, ist er human?
Elmar Brok (EVP-Europaabgeordneter, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament): Europa macht zumindest die Tore auf, andere einzelne Länder machen da nicht mit oder verhalten sich nicht ausreichend gut. Darüber wird in diesen Tagen gestritten. Wir sind dabei, europäische Regeln zu machen, die die Ausnahmesituation auffangen können. Denn die Regeln, wie zum Beispiel das Dublin-Abkommen, funktionieren nicht angesichts des Ausmaßes dieser Flüchtlingskatastrophe. Hier sehen wir doch, dass einige Bewegung da ist. Ich komme gerade aus Polen, wir haben da Kontakt mit der Ministerpräsidentin gehabt, so dass in Ländern wie Polen auch ein Umdenken geschieht, um auf diese Art und Weise eine vernünftige Verteilung in Europa zu Wege zu bringen.
domradio.de: Was fällt Ihnen zu Viktor Orban und seinem Umgang mit den Flüchtlingen ein?
Brok: Nach den Regeln ist es so, dass jedes Land, das eine Außengrenze darstellt, Kontrollen und Registrierungen durchzuführen hat und nicht durchzuwinken hat. Insofern hält er sich formal an die Regeln. Die Frage ist, in welchem Umfang in den Lagern vernünftige Umstände da sind. Das ist nicht akzeptabel, was man da hört. Jedenfalls ist es so, dass die Tatsache, dass dort registriert werden soll, eigentlich dem Europäischen Recht entspricht.
domradio.de: Der gesamte Umgang mit den Flüchtlingen erscheint doch ziemlich inhuman. Finden Sie das nicht auch?
Brok: Das ist wahr. Wenn man diese Bilder sieht vom Bahnhof in Budapest oder von den Leuten im Zug voller Hoffnung, dass es woanders hingeht. Das ist nicht die richtige Art und Weise, wie man da vorgeht. Ich glaube auch, dass die Umstände und die Zustände in den Lagern so sein müssen, dass sie vernünftigen europäischen Standards entsprechen, was die Versorgung und Aufenthaltsbedingungen angeht, und dass dann schnell verfahren wird. Wir in Europa müssen auch dafür sorgen, dass bei der Registrierung geholfen wird, und dass die Quotenregelegung kommt. Denn wir müssen sehen, dass Ungarn eine ungeheure Last hat. Ungarn hat pro Kopf inzwischen mehr Flüchtlinge im Land, als es in Deutschland der Fall ist. Das darf dabei auch nicht vergessen werden, dass ein so kleines Land dabei überfordert ist. Orban zieht aus dieser Überforderung allerdings falsche Konsequenzen.
domradio.de: Für die kommende Woche hat Kommissionspräsident Juncker eine Rede vor dem Europaparlament angekündigt zur Flüchtlingsfrage. Was erwarten Sie sich davon?
Brok: Ich glaube, dass Jean-Claude Juncker eine Reihe von Gesetzen zur Quotenregelung, sichere Herkunftsländer und manches andere vorschlagen wird, und dass diese dann in eine vernünftige europäische Gesetzgebung einfließen. Der Weg der Staats- und Regierungschefs, dieses auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu klären, ist gescheitert. Jetzt wird aufgrund dieser Vorschläge der Kommission auch das Europäische Parlament gefordert werden, um eine Gesetzgebung zu schaffen, um denen, die wirklich um Leib und Leben fürchten müssen, Schutz zu geben. Denn sie haben Anspruch darauf.
Das Asylrecht ist ein Recht für diejenigen, die vor Krieg flüchten haben, die aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden, um Leib und Leben fürchten müssen. Aber das Asylrecht ist nicht für diejenigen, die meinen, dass sie woanders bessere Lebensbedingungen bekommen. Deswegen ist es in dem Zusammenhang auch wichtig, dass es beispielsweise schnelle Verfahren in Europa gibt, dass die Ankommenden aus den Balkanstaaten schnell wieder zurückgeschickt werden können. Diese Balkanstaaten sind Kandidatenländer, und da kann man nicht davon ausgehen, dass die Menschen dort um ihr Leben fürchten müssen. Das betrifft in Deutschland gegenwärtig 40 Prozent der Asylbewerber. Däre das eine ungeheurere Entlastung für die Kommunen.
domradio.de: Man hat immer den Eindruck, die EU schafft es erst dann zu handeln, wenn die Krise schon akut ist. Warum ist das so?
Brok: Die EU hat erhebliche Mittel eingesetzt, soweit es geht, rettet man. Viele ertrinken ja in den Hoheitsgewässern von Libyen, in die man ja nicht hineingeht, weil es ein anderes souveränes Land ist. Die Europäische Kommission hat bereits vor zehn Jahren Fragen zu sicheren Herkunftsländern, zu Verteilungsquoten usw. vorgeschlagen. Das ist immer abgebogen worden von den nationalen Regierungen, weil sie sagen, dass sei eine Kompetenzanmaßung Europas. Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird plötzlich nach Europa gerufen. Auch das muss man der Wahrheit entsprechend sagen. Die Kommunen schimpfen über die Länder, die Länder über den Bund und alle gemeinsam über Europa. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht und entspricht auch nicht den Tatsachen.
domradio.de: Würden Sie sagen, das ist ein strukturelles europäisches Problem?
Brok: Wir sind 28 Nationen, die sich auf eine gemeinsame Position einigen müssen. Wie lange brauchen denn manchmal allein die Bundesländer, um sich auf etwas zu einigen? Die Frage des Asyls und der Innenpolitik ist auch immer klassischerweise ein Eigenverständnis von nationaler Souveränität und jetzt muss diese nationale Souveränität an Europa abgegeben werden. Man hat in normalen Zeiten versäumt, die richtigen Lösungen zu bringen, die dann eine schnellere Reaktion möglich gemacht hätten. Das ist leider bei uns Menschen oft so, dass das Bewusstsein erst wächst, wenn es fast schon zu spät ist.
Das Interview führte Christian Schlegel.