domradio.de: Sie waren ja unter anderem auf Lesbos. Was haben Sie dort gesehen?
Barbara Lochbihler (Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament): Auf Lesbos ist ein sogenannter Hotspot. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, aber auch aus dem Kongo und dem Irak werden dort registriert. Das soll in der Regel maximal einen Monat dauern. Die Menschen, insbesondere alleinreisende Männer, sind allerdings bis zu 18 Monaten da.
Ich war dort, weil es ein überbelegtes Lager ist. Im letzten Jahr sind dort im Winter sechs Menschen zu Tode gekommen. Sie haben mit Plastiktüten geheizt und sind daran erstickt. Und auch jetzt - ein Jahr später, trotz aller Versprechungen dieses Lager winterfest zu machen - haben wir eine Situation, in der 1500 Leute in Sommerzelten schlafen.
Ich habe mit einer Ärztin geredet, die sagte, dass sehr viele kleine Kinder dort sind, die noch stärker unter der Kälte leiden dürften als die Erwachsenen. Es ist alles schwierig: Die humanitären Bedingungen, die medizinische Betreuung aber auch der Mangel an Toiletten und die Überbelegung des Lagers. Das Lager hat 2000 Plätze, seit vorgestern leben dort aber 6500 Menschen. Das ist etwas, worüber sich alle aufregen - die griechische Seite, aber auch die EU.
domradio.de: Sie sind Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament. Macht die EU genug, um zu unterstützen?
Lochbihler: Es gibt finanzielle Hilfe, um die humanitäre Situation zu lösen. Im vergangenen Jahr gab es 1,2 Milliarden Euro. Es wird etwas unterstützt, was ich auch in Lesbos gesehen habe. Wenn man die Menschen dort registriert und feststellt, dass sie ein besonderes Schutzbedürfnis haben - zum Beispiel weil sie schwanger oder krank sind - dürfen sie in ein Lager der Gemeinde, das sehr vorbildlich geführt ist.
Was aber die EU über dieses Humanitäre hinaus macht, führt eigentlich auch zu dieser Situation. Denn die Frage ist: Warum sind die Leute dort? Das ist die Folge von diesem EU-Türkei-Deal. Der besagt ja, dass die Menschen, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, alle dort hin zurück müssen. Die Aufgabe von diesem Lager ist es, zu prüfen, ob man hier bleiben und einen Asylantrag stellen kann oder zurück muss. Und wenn die Leute lange warten müssen, entsteht Aggression.
Wir werden am Mittwoch im europäischen Parlament über die Situation reden - und natürlich vordringlich über das Humanitäre, weil der Winter bevorsteht. Aber wir müssen auch über die Flüchtlingspolitik sprechen - die eben dazu führt, dass man - überfüllte - Erstaufnahmelager einrichtet.
Das Gespräch führte Verena Tröster.