DOMRADIO.DE: Das christliche Hilfswerk Open Doors spricht in seinem neuen Jahresbericht davon, dass die Zahl der verfolgten Christen im Pandemie-Jahr 2020 stark zugenommen hat. Redet die Bundesregierung zu wenig über das Thema Christenverfolgung im Rahmen ihrer diplomatischen Tätigkeiten?
Prof. Dr. Heribert Hirte MdB (Vorsitzender des Stephanuskreises in der Union): Ich würde sagen, das war so und es wird langsam besser. Denn ich glaube, man muss daran erinnern, dass wir gerade im Rahmen der letzten Koalitionsverhandlungen das Amt des Beauftragten für internationale Religionsfreiheit eingeführt haben, das jetzt Markus Grübel wahrnimmt. Dadurch wird in der Bundesregierung der Akzent etwas in diese Richtung verschoben, vor allem beim Auswärtigen Amt. Wir haben mit dem entsprechenden Beauftragten auf der europäischen Ebene auch ein Zeichen gesetzt. Und hier bedauern wir, dass der Nachfolger von Herrn Figel, der das auf der europäischen Ebene gemacht hat, noch nicht benannt ist.
DOMRADIO.DE: Der Bericht von Open Doors zeigt, dass während der Corona-Pandemie die Verfolgung von Christen weiter zugenommen hat. Das hat auch schon die Bundesregierung selbst in ihrem Religionsfreiheitsbericht festgestellt. Was muss denn jetzt kurzfristig passieren?
Hirte: Zunächst einmal muss das Thema deutlicher auf die Tagesordnung. Deshalb ist es gut, dass wir darüber reden. Deshalb ist es gut, dass wir den Bericht von Open Doors haben. Wir sehen, dass totalitäre Staaten wie der Iran, mit dem ich mehrfach zu tun hatte, Corona natürlich auch als Vorwand nutzen, andersdenkende Menschen zu drangsalieren und zu verfolgen.
DOMRADIO.DE: Die Hauptgefahr für Christen liegt laut Open Doors Bericht im grundsätzlichen Fehlen von Menschenrechten bzw. deren Missachtung. Und das ist gerade in China der Fall. Aber gerade gegenüber China tritt die Bundesregierung ja sehr leise auf. Wie passt das zusammen?
Hirte: Das sind zunächst einmal bedauerlicherweise die Machtverhältnisse. Wir müssen wissen, dass wir von China wirtschaftlich abhängig sind. Da zu sagen, dass die Menschenrechte nach den Standards, die wir für richtig halten, nicht eingehalten werden, fällt schwer. Nur, wir könnten auch hier deutlich lauter werden. Und ich erinnere mich an die Situation der Uiguren, der verfolgten Minderheit im Westen von China, die ich laut thematisiert habe. Das hätten wir auch seitens der Bundesregierung noch lauter sagen können.
DOMRADIO.DE: Als Gegengewicht zu China wird oft eine gemeinsame europäische Außenpolitik gefordert. Wie müsste die denn aussehen?
Hirte: Das Hauptproblem liegt darin, dass die Standards für die Aufnahme von Flüchtlingen, was Flucht und was Einwanderung ist, in den europäischen Staaten rechtlich unterschiedlich sind. Und, dass auch die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung variiert. Wir bräuchten ein gemeinsames Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen. Das heißt, wir bräuchten auch gemeinsame Standards zum Asyl und einheitliche Richter, die darüber entscheiden. Das würde für Deutschland heißen: Wir müssten von unserem entsprechenden Artikel 16a im Grundgesetz runter.
Das wäre durchaus auch schmerzhaft. Aber ich glaube, wir brauchen diesen Kompromiss, um das zu machen, was wichtig ist: einheitlich als Europa aufzutreten.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.